2019-08-14 PM Skandalöser Umgang mit zentralem Dokument verschleppt die Ermittlungen im Mordfall Burak Bektaş

Pressemitteilung der Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş vom 14.08.2019

Ein für die Ermittlungen richtungsweisender polizeilicher Auswertungsbericht existiert bereits seit Juni 2012 – also wenige Monate nach dem Mord an Burak Bektaş und dem versuchten Mord an zwei seiner Freunde. Jedoch erst drei Jahre später wurden Empfehlungen und Anregungen daraus umgesetzt. Heute sind die Ermittlungen im Mordfall Burak Bektaş quasi zum Erliegen gekommen. Nur eine Person ist bei der Polizei noch mit dem Fall befasst. Aktuell wird einem Hinweis aus der Bevölkerung nachgegangen.

Dies sind die Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus einer aktuellen Antwort des Berliner Innensenats auf eine Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Anne Helm und Niklas Schrader. Sie hatten Auskünfte über Ungereimtheiten während des Ermittlungsverfahrens im Mordfall Burak Bektaş und über den heutigen Stand verlangt. Seit 15. Juli 2019 liegen die Antworten des Senats als öffentliche Drucksache 18062 / 20062 vor.

Schon Anfang 2016 hatten Anwälte von Familie Bektaş skandalisiert, dass bereits im Juni 2012 das Ergebnis einer internen Überprüfung und Auswertung der Ermittlungen durch die Abteilung Auswertungseinheit/Operative Fallanalyse (AE/OFA ) vorlag. Darin wurden Nachermittlungen angeregt, die jedoch nicht unmittelbar umgesetzt wurden. Im Gegenteil: Der Bericht wurde erst 2015 der Akte beigefügt und ins Verfahren eingeführt und blieb somit den meisten Verfahrensbeteiligten wie den Angehörigen und ihren Anwält*innen lange Zeit vorenthalten. Als sie dies öffentlich kritisierten, wurde ihnen eine „Kampagne“ gegen die Staatsanwaltschaft vorgeworfen. Die Behörden behaupteten auch in der Folgezeit – so etwa in der Antwort des Innensenats auf eine Anfrage der Abgeordneten Canan Bayram vom Februar 2016 – der Bericht sei erst im April 2015 erstellt worden, dem Zeitpunkt also, als er in die Akte aufgenommen worden war.

Kein „Büroversehen“, sondern ein Skandal!

Diese offensichtliche Falschaussage wird nun in der aktuellen Antwort auf die Schriftliche Anfrage von Helm/Schrader eingestanden. Es wird bestätigt, dass der Bericht im Juni 2012 erstellt wurde, aber erst 2015 Einzug in die Akte erhielt und auch erst dann die Ermittlungsempfehlungen wie etwa Zeug*innenvernehmungen umgesetzt wurden. Die bisherige Verwirrung mit den Datierungen wird dabei als „internes Büroversehen“ bezeichnet.

„Dass ein derart fahrlässiger Umgang mit einem solch zentralen Dokument so lapidar abgetan wird, ist ein Skandal“ sagt Ulrike Schmidt von der Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş. „Es ist offensichtlich, welchen Einfluss der Bericht auf die Ermittlungen hätte haben müssen, wenn er unmittelbar die entsprechend notwendige Berücksichtigung erfahren hätte. Es ist nicht auszudenken, wie viele Spuren und Erinnerungen in der Zwischenzeit verloren gegangen sind.“

Zudem wurde mit der Beantwortung der Schriftlichen Anfrage bestätigt, dass eine Arbeitsgruppe unter Führung des polizeilichen Staatsschutzes den Auswertungsbericht von 2012 bereits 2014 erhalten haben soll, obwohl dieser zu der Zeit noch nicht Inhalt der Fallakte war und auch die darin angeregten Nachermittlungen offensichtlich noch nicht umgesetzt worden waren. In diesem Zuge sei zudem eine „ergänzende Fallbetrachtung“ durch die Dienststelle LKA 1 AE/OFA entstanden sein. Es stellt sich die dringende Frage: Was ist deren Ergebnis?

Festhalten an Falschinformationen

Hinsichtlich der Ermittlungen im Mordfall Burak Bektaş in Richtung Rolf Zielezinski enthält die aktuelle Antwort des Innensenats Falschinformationen. Rolf Zielezinski war bereits im Dezember 2013 von einem Zeugen als möglicher Tatverdächtiger genannt worden. Dennoch wurde er weder vernommen, noch gab es eine Wohnungsdurchsuchung – obwohl er wegen Waffendelikten aktenkundig war. Im September 2015 erschoss er Luke Holland und wurde für diesen Mord verurteilt. Bis heute behauptet der Innensenat, ein Bezug von Rolf Zielezinski in die Tatort-Nähe im Mordfall Burak Bektaş sei erst durch eine Zeugenaussage vom 21. März 2016 möglich gewesen. Das entspricht nicht den Tatsachen. Faktisch war dieser örtliche Bezug durch die rbb-Podcastserie „Wer hat Burak erschossen?“ (https://webdoku.rbb-online.de/burak) bereits seit Ende 2015 sogar einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Eine einfache journalistische Recherche hatte diesen hergestellt. Ein wichtiger Hinweis, den die Polizei Ende 2013 angeblich nicht in der Lage war zu ermitteln. Bis heute ist eine der Hauptthesen der Eltern des ermordeten Luke Holland, dass sie der Überzeugung sind, ihr Sohn könnte noch am Leben sein, hätte die Polizei ihre Arbeit gemacht.

Forderung nach Neuaufrollen der Ermittlungen

Die Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş fordert die Offenlegung der Ergebnisse der Arbeitsgruppe des polizeilichen Staatsschutz von 2014 sowie die Übergabe sämtlicher Ermittlungsergebnisse an die Anwält*innen der Nebenklage. Angesichts der neusten Erkenntnisse bekräftigen wir erneut die Forderung, den Mordfall Burak Bektaş neu aufzurollen, andere Ermittler*innen mit diesem zu beauftragen und prioritär zu behandeln. Denn offensichtlich sind die Tätigkeiten der Mordkommission praktisch zum Erliegen gekommen. Laut der Antwort des Innensenats ist nur noch eine Person vollumfänglich mit dem Fall betraut, aktuell wird nur noch einem offenen Hinweis nachgegangen.

Vertreter*innen der Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş sehen dadurch ihre lang gehegten Befürchtungen bestätigt:

„Wir haben schon lange vermutet, dass es keine ernsthaften Ermittlungen der Berliner Polizei zur Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş gab und gibt“, konstatiert Ulrike Schmidt. „Für uns stellt sich die Frage, wer jahrelang ernsthafte Ermittlungen im Mordfall Burak Bektaş verhindert hat? Wer hat die Kontrolle über das Verfahren, wenn den Anwält*innen der Familie und möglicherweise auch anderen Verfahrensbeteiligten Ergebnisse vorenthalten werden? Welche Ermittlungen gab es, die heute noch in der Akte des Falles fehlen? Besteht ein Zusammenhang mit den Verstrickungen des Berliner Staatsschutzes in rechte Netzwerke? Wir fordern endlich ernsthafte Aufklärung!“