PM des Solidaritäts-Netzwerks von Angehörigen, Betroffenen und Überlebenden rechter, rassistischer, antisemitischer Morde und Gewalt aus ganz Deutschland
Rückblick Ergänzungskundgebung 11. März: Staatliches Gedenken, aber nicht für Alle!
Berlin, 11. März 2025. Heute versammelten sich rund 50 Menschen auf der Jungfernbrücke in Berlin, um an einer Ergänzungskundgebung des Bundesweiten Solidaritätsnetzwerks Betroffener rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt teilzunehmen. Anlass war die jährlich stattfindende Gedenkveranstaltung des Bundesopferbeauftragten für die Opfer von Terrorismus. Ein Link zu freiverfügbaren Fotos der
Ergänzungskundgebung finden Sie am Ende der Pressemitteilung.
Das Bundesweite Solidaritätsnetzwerk besteht aus zahlreichen Initiativen, die für ein selbstbestimmtes und würdiges Erinnern, die Aufklärung rechter Gewalttaten und finanzielle Entschädigung kämpfen.
Viele der Angehörigen und Überlebenden aus dem Netzwerk fühlen sich von der offiziellen Gedenkveranstaltung ausgeschlossen. Die meisten von ihnen waren nicht eingeladen, einigen wurde die Teilnahme sogar aktiv verwehrt.
Aynur Satır, Überlebende des rassistischen Brandanschlags in Duisburg 1984, bei dem sieben Menschen ermordet wurden, wurde nicht zum heutigen Gedenktag eingeladen. Sie sagte dazu: „Wenn ich nicht eingeladen werde, bedeutet das für mich, dass Sie von mir als Betroffene nichts hören und nichts wissen wollen. Ich lasse mich aber nicht zum Schweigen bringen.“ Sie schlussfolgerte: „Keine politische und staatliche Anerkennung bedeutet: keine Gerechtigkeit, keine Konsequenzen und viele offene Fragen! Ich werde weiterkämpfen für die Anerkennung des Anschlags.“ Und weiter: „Ich habe keine Kraft mehr dafür, mich immer wieder als Betroffene und Überlebende sichtbar zu machen und nicht wahrgenommen zu werden.“
İsmet Tekin, Überlebender des antisemitischen, rassistischen und antifeministischen Anschlags von Halle und Wiedersdorf am 9. Oktober 2019 (Yom Kippur 5780), sagte bei der Ergänzungskundgebung, bevor er zur offiziellen Veranstaltung ging: „Wir sind heute hier, um den Politikern unsere Meinung zu sagen. Ob wir zu Wort kommen werden, wissen wir noch nicht. Große Hoffnung habe ich nicht.” Tatsächlich kamen bei der Veranstaltung des Bundeopferbeauftragten vor allem Menschen zu Wort, die von Gewalt außerhalb Deutschlands betroffen sind, obwohl es auch in Deutschland zahlreiche Opfer gibt. Auf der Kundgebung wurde eine Liste mit circa 350 Todesopfern von Terror in Deutschland verlesen, von denen über die Hälfte nicht anerkannt sind.
İsmet Tekin sagte weiter: „Seit Jahren gibt es Qualen, Schmerzen und Heulen. Das ist nicht schön. Wir kämpfen gemeinsam für eine bessere Zukunft und für eine bessere Gesellschaft für uns alle, egal ob migrantisch oder deutsch. Für ein besseres Leben. Das verdient jeder Mensch. Wir sind Menschen.“ Er fügte hinzu: „Ob unsere Politiker das auch so sehen, weiß ich nicht. Seit 40 Jahren haben wir unsere Hand
ausgestreckt, aber keine Hand zurückbekommen. Wir erwarten, dass das wieder passiert und immer wieder passiert. Aber ich sage heute nochmal:
Starten wir neu. Aber zusammen und gemeinsam. Wenn die Politiker wollen, kann man alles schaffen. Es gibt nichts, was wir nicht schaffen können.
Wir können für eine bessere Zukunft etwas bauen. Ich habe eine Bitte:
Die Politiker sollen uns keine leeren Worte geben und uns nicht verarschen. Was gesagt wird, soll auch gemacht werden.“
Das Bundesweite Solidaritätsnetzwerk will mit der Ergänzungskundgebung darauf aufmerksam machen, dass eine Gleichstellung und Anerkennung aller Opfer terroristischer Gewalt, orientiert an den Maßstäben der Betroffenen und nicht nach politischen Interessen, zentral ist. Es betont, dass neben der Anerkennung durch staatliche Stellen auch die Aufklärung und Konsequenzen aus diesen Taten maßgeblich sind. Es fordert unbürokratische, schnelle und kontinuierliche finanzielle Mittel durch den Staat für psychologische Hilfe, Entschädigung und Unterstützung der Betroffenen – ohne langwierige und demütigende Verfahren.
B. Efe, der einen rassistische Mordversuch in Kassel 2020 überlebt hat, sagte dazu: „Von Anfang an bis jetzt haben wir immer gekämpft. Wir kämpfen noch. Es ist nicht einfach. Aber es so zu lassen, das geht nicht. Ich habe viele Leute in Deutschland kennengelernt. Ich bin nicht
der einzige Fall, sondern das, was bei mir passiert ist, davon gibt es viele Fälle. Ich habe überall Anträge gestellt, aber alles wurde abgelehnt. Der Grund war immer ein Witz. Ein Witz, sage ich. Ich nenne nur ein Beispiel: Ich habe beim Hessischen Opferfonds einen Antrag gestellt, der wurde zweimal abgelehnt. Der Grund ist, dass es anscheinend kein Terroranschlag war. Er wollte mich töten. Er hat einen rassistischen Angriff verübt.“
Die Initiative „München OEZ Erinnern“ machte auf ein wiederkehrendes Muster aufmerksam: „München, Magdeburg, Mannheim – immer wieder fällt es den Ermittlungsbehörden schwer, rechtsterroristische Taten als solche anzuerkennen. Viele Opfer rechter Gewalt sind nicht anerkannt, das Ausmaß rechten Terrors wird verharmlost.“ Angehörige und Familien müssen immer wieder kämpfen.
„Es dauerte mehr als drei Jahre und entsprechende Konsequenzen blieben bis heute aus. Und das ist kein Einzelfall! Ähnliches sehen wir jetzt in Magdeburg und Mannheim.“
Zu der aktuellen Debatte um den psychischen Zustand der Täter in Magdeburg und Mannheim stellen sie fest: „Auch in München beim OEZ-Anschlag wurde der psychischen Verfassung des Täters mehr Gewicht gegeben als seiner politischen Orientierung. Wissenschaftliche Gutachten kamen jedoch zum Schluss, bei einer solchen Tat spielen zwar auch psychische Faktoren eine Rolle, das darf die politische Motivation aber nicht relativieren! Diese Erkenntnis muss ernst genommen werden. Eine politische Gewalttat braucht politische Konsequenzen. Aber warum verharmlosen und ignorieren die Ermittlungsbehörden Politik rechten Terror dann immer und immer wieder? Warum hören sie Angehörigen und Überlebenden nicht zu? Warum verschließen sie sich ihrer Kritik? Warum wollen sie nichts ändern an ihren Institutionen? In den aktuellen politischen Debatten werden diese Fragen mit Hass und Hetze beantwortet.
Wie soll uns das weiterbringen? Wir brauchen Politik, die Menschenfeindlichkeit verhindert.“
Mamadou Saliou Diallo, Bruder von Oury Jalloh, machte auf die ungleiche Behandlung aufmerksam, die besonders Opfer von Polizeigewalt trifft:
„Wir sind hier, um der Opfer von Terror zu gedenken. Doch wir fragen uns: Wessen Namen werden hier genannt? Wessen Tod wird anerkannt? Und wer soll aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht werden?“ Er betonte: „Mein Bruder floh aus Sierra Leone nach Deutschland, um Sicherheit zu finden. Doch stattdessen wurde er in einer Dessauer Polizeizelle gefesselt, gefoltert und getötet. Wenige Stunden später war er bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Die Polizei behauptete, er habe sich selbst angezündet. Unabhängige Untersuchungen zeigen jedoch:
Die Polizei hat kollektiv gelogen. Das war Mord.“ Diallo kritisierte weiter: „Warum wird rechter Terror öffentlich verurteilt, aber staatliche Gewalt vertuscht. Warum heißt es Nie wieder bei rechtsextremen Anschlägen, aber nicht bei Polizeimorden. Dasselbe System, das den NSU nicht erkennen wollte und den Attentäter von Hanau nicht stoppte, hat auch die Mörder von Oury Jalloh geschützt. Dasselbe System, das rechten Terror verharmlost, vertuscht auch die Gewalt von Polizei und Behörden. Das ist nicht einfach nur Fahrlässigkeit von Einzelnen im System. Das ist systematische Mittäterschaft.“
Die Initiative Justice for Mouhamed, die an Mouhamed Lamine Dramé erinnert, der am 8. August 2022 mit fünf Schüssen von der Dortmunder Polizei getötet wurde, kritisierte, dass die angeklagten Polizisten freigesprochen werden sollten. „Dieses Urteil zeigt, dass es in diesem Land keine Gerechtigkeit für bestimmte Menschen, Familien und Opfer gibt. Aber auch Gedenken bedeutet erinnern, und erinnern bedeutet kämpfen. Es ist unsere Verantwortung als Zivilgesellschaft, dafür zu kämpfen, dass Menschen in diesem Land von der Geschichte lernen, dass Rechtsextremismus, Terror und Gewalt nicht die Sprache der Mächtigen werden.“
Der Link zu den frei zur Verfügung stehenden Fotos: bei wetransfer