Auch in diesem Jahr erinnern wir an den Brandanschlag von 1980 in der Hamburger Halskestraße auf eine Unterkunft von Geflüchteten und gedenken der beiden damals ermordeten jungen Männer. Bereits 2014 und 2015 haben wir dort eine Gedenkkundgebung abgehalten.
Die Veranstaltung soll ein politisches Zeichen setzen und Druck auf die Stadt Hamburg ausüben, sich ihrer Verantwortung zu stellen und einen würdigen Ort der Erinnerung und des Gedenkens für Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân – sowie für alle anderen Opfer rassistischer und/ oder neonazistischer Mordtaten – zu schaffen.
Darum hoffen wir darauf, dass viele kommen zur Gedenkkundgebung am Samstag, den 27. August 2016 um 14.00 Uhr in der Halskestraße 72 in Hamburg- Billwerder
Es wird Redebeiträge der Initiative für ein Gedenken an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân sowie anderer Initiativen geben, die zu ähnlichen Themen arbeiten; außerdem ein Interview mit einem Überlebenden des Anschlags. Ferner möchten wir eine Schweigeminute abhalten, eine Gedenktafel aufstellen und Blumen niederlegen. Bringt gern eigene Blumen mit!
Die Tat
In der Nacht vom 21. auf den 22. August 1980 verüben Mitglieder der terroristischen Neonazigruppe „Deutsche Aktionsgruppen“ in der Halskestraße in Billwerder einen Brandanschlag auf eine Unterkunft für Geflüchtete, in der ca. 240 Menschen untergebracht sind. Die beiden Neonazis, ein Mann und eine Frau, werfen Molotowcocktails in ein Zimmer im Erdgeschoss, in dem zwei junge Männer aus Saigon schlafen. Es steht sofort in Flammen, Rettungsversuche durch andere Hausbewohner sind vergebens.
Die Opfer
Der 22jährige Nguyễn Ngọc Châu stirbt noch am Morgen nach dem Feuer. Er war von dem Rettungsschiff “Cap Anamur” aus einem Boot im Südchinesischen Meer geborgen worden und erst im April nach Hamburg gekommen.
Sein Zimmergenosse, der 18jährige Đỗ Anh Lân, erliegt einige Tage später seinen schweren Brandverletzungen. Er hatte schon eine zwei Jahre lange Flucht hinter sich, bevor ihn im August 1979 die Hilfsaktion der Wochenzeitung “Die Zeit” von der Insel Pulau Bidong aus einem Geflüchtetenlager nach Hamburg bringt.
Das Vergessen
Anfangs ist die Anteilnahme am Tod von Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân groß. 400 Trauergäste sind bei der Beisetzung anwesend. Der Erste Bürgermeister Hans-Ulrich Klose hält die Trauerrede. Doch schnell werden Angehörige und Überlebende des Brandanschlages sich selbst überlassen. Der Anschlag selbst gerät in Vergessenheit; nichts in Hamburg erinnert noch an die Tat und die Ermordeten – nicht an dem Haus, in dem jetzt ein Hotel ist, noch anderswo in Hamburg.
Im öffentlichen Gedächtnis und in den Medien sind dieser rassistische Anschlag und weitere Morde an Migrant*innen in Hamburg nicht präsent. Das wurde nicht zuletzt deutlich, als drei Mitglieder des rechtsterroristischen Netzwerkes „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) aufflogen und es im öffentlichen Diskurs hieß, der Hamburger Süleyman Taşköprü sei das bislang erste und einzige Opfer von Nazis in Hamburg.
Und heute?
Auch heute zünden Menschen wieder Unterkünfte für Geflüchtete an, werfen Brandsätze, protestieren gegen den Einzug von Geflüchteten und beantragen beim Finanzamt die Senkung ihrer Grundsteuer, wenn geflüchtete Frauen, Männer und Kinder in die Nachbarschaft ziehen.
Im Sommer 2015 konnten deutlich mehr Menschen als in den Jahren zuvor die europäischen Abschottungsmechanismen überwinden. Hunderttausende Flüchtende erreichten trotz großer Gefahren für ihr Leben Europa und trugen so die wirtschaftliche und politische Krise in die Metropolen (zurück). Dies hatte eine starke Polarisierung innerhalb der Bevölkerung zur Folge. Während die einen die immer gleichen rassistischen Parolen von „Überfremdung“ herunterbeteten und an Ängste appellierten, reagierten viele Menschen in Deutschland und auch in Hamburg mit Anteilnahme und Solidarität und einer „Refugees welcome!“-Kampagne.
Mittlerweile ist dies als politische Stimme jedoch kaum noch zu vernehmen. Stattdessen bestimmen rechte AfD-Parolen die Schlagzeilen. Unter dem Dach von Pegida und seinen Ablegern machen rassistische Wut-Bürger*innen mit organisierten Neonazis ungeniert gemeinsame Sache.
Als im Februar in Clausnitz ein grölender Mob die Ankunft eines Busses mit Geflüchteten über Stunden blockiert, greift die Polizei nicht gegen die Rassist*innen durch, sondern schleift einen Jungen aus dem Bus im Polizeigriff durch die jubelnde Menge ins Haus und wirft den Geflüchteten später Provokation vor.
Eine solche Verdrehung von Opfern und Täter*innen ist immer wieder zu beobachten und zeigt, dass der Rassismus der Straße in Polizei, Behörden, Politik und Medien nur allzu oft seine Fortsetzung findet. Immer wieder werden rassistische Taten verharmlost, vertuscht, verdreht… und schließlich vergessen.
Das Gedenken
Dem Vergessen wollen wir mit unserer Gedenkkundgebung entgegentreten. Gedenken heißt, bei den Opfern inne zu halten, ihnen Namen, Gesicht und Geschichte zurückzugeben, sie als Subjekte und Individuen in den Blick zu nehmen; sich an ihre Seite und die der Angehörigen und Überlebenden zu stellen.
Damit ist das Gedenken eine Gegenbewegung zum Rassismus, der seine Opfer entsubjektiviert und zum bloßen Exemplar einer unerwünschten Gruppe macht.
Im Sichtbar-Machen des Geschehenen und der Markierung und Gestaltung der Tatorte öffnet Gedenken aber auch einen politischen Raum, in dem rassistische Morde, Übergriffe, Anschläge nicht mehr als bedauerliche Taten verwirrter Einzeltäter*innen verharmlost und vergessen werden können, sondern in dem die gesellschaftliche Dimension dieser Taten deutlich wird: Die Taten der Biedermänner und Brandstifter sind ohne den in allen gesellschaftlichen Schichten und Milieus verankerten Rassismus nicht denkbar. Rassismus tötet!
Die Forderungen
Wir wollen das Gedenken nicht an die Stadt Hamburg delegieren und zu einem formalen Akt verkümmern lassen. Und dennoch finden wir es wichtig, die Stadt in die Pflicht zu nehmen, sich ihrer Verantwortung zu stellen.
Wir fordern:
- Eine fest installierte Gedenktafel, die die Ereignisse dokumentiert und an die beiden Opfer erinnert.
- Die Umbenennung der Halskestraße nach Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân.
- Die entsprechende Umbenennung der Bushaltestelle am Tatort.
2014 stellten wir eine Gedenktafel am Tatort auf, die vom Hotel Amedia, das sich heute in der ehemaligen Geflüchtetenunterkunft befindet, direkt nach dem Ende unserer Kundgebung entfernt wurde. Wir fordern von der Stadt, mit dem offiziellen Aufstellen unserer Gedenktafel einen bleibenden Ort der Erinnerung zu schaffen.
Die Forderung nach der Umbenennung der Halskestraße bzw. des Teilstücks am Tatort folgt dem Gedanken, dass der Stadtplan das kollektive Gedächtnis einer Stadt repräsentiert und damit die Übereinkunft beinhaltet, wessen sich erinnert werden soll.
Die Umbenennung der Bushaltestelle wäre dann eine zwangsläufige Folge und böte einen Hinweis im Alltag der HVV-Reisenden, der die Aufmerksamkeit auf das Geschehene lenken könnte.
Wir wünschen uns, dass viele unsere Forderungen unterstützen und diese mit uns am 27.08. auf die Straße bringen. Gleichzeitig freuen wir uns, wenn Ihr unsere Homepage besucht und dort als Unterstützer*innen unterzeichnet.
Initiative für ein Gedenken an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân
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Interview vom 6.8.2016 zur Kundgebung 2016 und Initiative bei FSK