2016-07-11 Heute Urteil im Mordfall Luke Holland erwartet: Vorläufige politische Einschätzung:

Mangelnde Untersuchung eines rassistischen Motivs, des Umfelds von Rolf Z. und eines Zusammenhangs mit dem Mord an Burak Bektaş

Im Fall des in Berlin-Neukölln ermordeten Luke Holland wird am heutigen Montag, den 11. Juli das Urteil gegen den Angeklagten Rolf Z. erwartet. Er ist angeklagt, den 31-jährigen Briten am Morgen des 20. September 2015 auf offener Straße aus nächster Nähe mit einer Schrotflinte erschossen zu haben. Die Indizienlage ist erdrückend, Rolf Z. schweigt zu den Vorwürfen.

Die Eltern von Luke Holland nahmen als Nebenkläger am Prozess teil. Ihr Studium der Ermittlungsakten ließ sie von Anfang an befürchten, dass die Mordmerkmale der Heimtücke und niedrigen Beweggründe nicht gewürdigt werden. In der Akte finden sich nur wenige Informationen zum Vorleben des mutmaßlichen Täters Rolf Z. und seiner möglichen Motivation. Die Eltern gehen von einem rassistischen Verbrechen aus und betonten immer wieder, dass Luke ermordet wurde, weil er Englisch sprach. Ihr Wunsch war es außerdem, dass in dem Prozess der Zusammenhang zum Mord an Burak Bektaş untersucht werden sollte.

Die Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş hat den Prozess beobachtet und gibt anlässlich des bevorstehenden Endes eine erste politische Einschätzung ab:

Ähnlich wie bei den Vorgängen zum NSU-Komplex zeichnen sich die Ermittlungen und der Prozess gegen Rolf Z. durch Nicht-Ernstnehmen, Nicht-Genau-Hingucken, Entpolitisieren und Verharmlosen von Seiten der Behörden aus.

Mangelnde Untersuchung eines rassistischen Motivs
Das Gericht hat sich auf das Überführen des Täters durch Indizien konzentriert und keine Aufklärung des Motivs betrieben.

  1. Neben der unübersehbaren Ausstattung seiner Wohnung mit Hitlerbüste, mehreren Hitler-Bildern, einem Bild der NS-Führungsriege, einer Karte vom Deutschen Reich und diversen anderen Gegenständen mit NS-Bezug, bestätigten auch Zeugen aus dem Umfeld Rolf Z.‘s seine politische Einstellung: Er soll ideologisch der NPD nahegestanden haben.
  2. ZeugInnen berichteten, dass Rolf Z. sich abfällig über „Ausländer“ im Club „Del Rex“ geäußert habe: „Es werde dort nur noch Englisch und Spanisch gesprochen“. Auch ZeugInnen aus dem persönlichen Umfeld von Rolf Z. bestätigten, dass er sich über „Ausländer“ beschwerte, die immer mehr Läden in seiner Umgebung eröffneten, während „deutsche Kneipen“ zumachen müssten.
  3. Das psychologische Gutachten des Gerichts hielt Rolf Z. für voll schuldfähig aber konzentrierte sich ausschließlich auf den Alkoholpegel des Täters und gab sich bezüglich des Motivs unwissend. Aus den in der Wohnung gefundenen NS-Devotionalien und den vorliegenden Zeugenaussagen wurde nicht auf ein rechtes Weltbild des Angeklagten geschlossen. Ansätze aus der Forschung zu Hasskriminalität zur Aufklärung der Motivation wendete der Gutachter nicht an.
  4. Nicht untersucht wurde weiterhin die in Rolf Z.’s Wohnung aufgefundene Literatur hinsichtlich neonazistischer Inhalte. Im Hinblick auf den Mord an Luke Holland wäre dabei vor allem interessant, ob in neonazistischen Kreisen weit verbreitete verbotene Schriften zu rassistischen Terrorkonzepten wie dem „lone wolf“-Konzept in seiner Wohnung vorgefunden wurden. In diese Richtung wurde allerdings nicht ermittelt.

Mangelnde Untersuchung seines Umfelds und möglichen neonazistischen Netzwerken
Der Prozess war davon geprägt, dass der Angeklagte schwieg und auch alle Familienangehörigen sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht beriefen. ZeugInnen aus dem FreundInnenkreis des Angeklagten verharmlosten die politischen Einstellungen von Rolf Z., die sie aber gleichzeitig nicht leugnen konnten. Damit wurde ein UnterstützerInnenkreis sichtbar, ein Milieu, das sich von der brutalen Tat nicht erschüttert zeigte. Trotzdem wurde Rolf Z. vom Gericht als Einzeltäter ohne Netzwerk gesehen.

  1. Der Zeuge Ryan H., Betreiber des »Del Rex«, sagte aus, dass sich in den Räumen seines Anfang 2014 eröffneten Clubs zuvor die Rockerkneipe „Starkstrom“ befunden habe. Dort sei auch Rolf Z. Stammgast gewesen. Dem Betreiber werden Verbindungen zu den „Bandidos“ nachgesagt. Verbindungen der „Banditos“ ins militante Neonazispektrum sind bekannt. Die Frage, wer sich im „Starkstrom“ traf und ob es Verbindungen in die rechte Szene gab, ist bislang genauso unbeantwortet wie die Frage, welche Kontakte Rolf Z. dort pflegte. In diese Richtung wurden keine ZeugInnen geladen und nicht ermittelt. Bekannt ist allerdings, dass der Club „Del Rex“ dem ehemaligen Betreiber und seinem Umfeld immer wieder Anlass für Provokationen bot.
  2. Ebenfalls ungeklärt ist die Herkunft einer in Rolf Z.‘s Wohnung aufgefundenen Fahne der 2003 verbotenen Neonaziband Landser mit dem Aufdruck „Deutsche Wut“. Die Fahne ist nicht frei verkäuflich, der Vertrieb von Tonträgern und Propagandamaterial wird konspirativ organisiert. Die Band unterhält Kontakte zum verbotenen rassistischen Musiknetzwerk „Blood and Honour“, in dessen Umfeld sich auch die mutmaßlichen NSU-Mitglieder Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bewegten. Ermittlungen in diese Richtung hätten möglicherweise Hinweise zu Kontakten von Rolf Z. zu militanten Neonazistrukturen geben können.
  3. Das in Rolf Z.‘s Wohnung gefundene Kilogramm Schwarzpulver – genug Sprengmittel für eine mittlere Bombe – wurde kommentarlos in den Asservatenlisten aufgeführt, spielte jedoch im gesamten Prozess keine Rolle und fand auch in der Anklageschrift keine Erwähnung. Die Zusammensetzung des Schwarzpulvers und vor allem dessen Herkunft wurden nicht untersucht und es wurden keine Abgleiche vorgenommen.
  4. Es wurde nicht ermittelt, wo und mit wem Rolf Z. Schießübungen vornahm.
  5. Im Prozess tauchten keine Erkenntnisse des Staatsschutzes oder des Verfassungsschutzes als Teil der Ermittlungen auf. Wissen über Szenestrukturen, ideologische Motivationen als Tathintergrund etc. wurden nicht in die Ermittlungen einbezogen. Immer wieder tauchten für uns Fragen auf: Wurde hier entpolitisiert oder auch vertuscht? Was wissen die V-Leute des Berliner Staatsschutzes sowie des Verfassungsschutzes des Landes und des Bundes über Rolf Z.? Spielt Quellenschutz, wie auch im NSU-Prozess, in diesem Verfahren eine Rolle?

In der Öffentlichkeit wird das entpolitisierte Bild einer Tat eines Einzeltäters gezeichnet, der zwar Waffennarr sei und einen „Hitler-Tick“ hat, eine politische Dimension und mögliche Netzwerke werden dabei aber ausgeblendet und damit Fehler aus den Ermittlungen zum NSU auf ein Neues wiederholt. Die Ermittlungen im NSU-Komplex haben die fatalen Folgen einer Ausblendung rassistischer Tatmotive seitens der Ermittlungsbehörden auf brutale Art und Weise offenbart.

Mangelnde Untersuchung eines Zusammenhangs mit dem Mord an Burak Bektaş
Der Versuch der Nebenklage, die mögliche Verbindung zum Mord an Burak Bektaş in das Verfahren einzubringen, wurde von allen anderen Prozessbeteiligten massiv zurückgewiesen und spielte im weiteren Prozessverlauf keine Rolle mehr.

  1. Die Akte von der im Jahre 2006 erfolgten Hausdurchsuchung in der Wohnung von Rolf Z., die bei den Ermittlungen im Fall Burak Bektaş im Winter 2013/14 noch beigezogen wurde, ist inzwischen angeblich vernichtet. Sie könnte Informationen über mögliche Verbindungen zwischen den beiden im Tatablauf ähnlichen Morde enthalten haben.
  2. Im jetzigen Verfahren gegen Rolf Z. wurde festgestellt, dass dieser öfter bei seinem vor sieben Jahren verstorbenen Bruder bzw. dessen Ehefrau/Witwe gewesen ist – zwei Straßen vom Tatort im Mordfall Burak Bektaş entfernt. Dort soll er laut einem Hinweisgeber Schießübungen durchgeführt haben. Diesen Hinweisen ist im Prozess nicht weiter nachgegangen worden.
  3. Das persönliche Umfeld von Rolf Z. wurde nicht zu möglichem Wissen bezüglich des Mordes an Burak Bektaş befragt, obwohl dies der ausdrückliche Wunsch der Eltern Luke Hollands war. Trotz Hinweisen wurde die Spur eines möglichen zweiten Mordes nicht weiterverfolgt.
  4. Den Überlebenden des Mordes an Burak Bektaş wurde eine von ihnen gewünschte Gegenüberstellung mit Rolf Z. verweigert. Als Begründung nannten die ermittelnden Behörden, dass der Mörder von Burak Bektaş keinen Bart getragen habe.

Polizei und Justiz versuchen unserer Einschätzung nach einen möglichen Zusammenhang zwischen den beiden Morden von vornherein auszuschließen, ohne weitere Nachforschungen anzustellen. Denn gäbe es tatsächlich einen Zusammenhang, müsste sich die Polizei und Staatsanwaltschaft den Vorwurf gefallen lassen, dass engagiertere Ermittlungen gegen Rolf Z. im Fall Burak Bektaş den Mord an Luke Holland unter Umständen hätten verhindern können.

Für uns steht fest: Der Mord an Luke Holland gehört auf die Liste der rechten und rassistischen Morde in Berlin.

Wir fordern weiterhin eine konsequente Aufklärung der Umstände und Hintergründe des Mordes an Luke Holland und den möglichen Zusammenhängen zum Mord an Burak Bektaş!