2020-08-19 Redebeitrag bei der Hanau-Demo in Berlin

In Berlin namen am Mittwoch, ein halbes Jahr nach den rassistischen Morden in Hanau 5000 Menschen an der Gedenkdemo ab Hermannplatz, Berlin, Neukölln teil. Wir konnten einen Redebeitrag als Burak-Ini beitragen:

Wir gedenken heute Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtovi, Kaloyan Velkov, Mercedes Kierpacz, Said Nesar Hashemi, Sedat Gürbüz und Vili Viorel Păun. Sie wurden vor sechs Monaten am 19. Februar von einem Rechtsterroristen ermordet.

Wir, die Initiative zur Aufklärung des Mordes an Burak Bektas, solidarisieren uns mit den Angehörigen der Opfer des rassistischen Anschlags, den Überlebenden und Unterstützer*innen. Wir teilen Eure Trauer und Eure Wut.

Uns macht so wütend, dass auch noch nach der Selbstenttarnung des NSU bei rechtem Terror immer von Einzeltätern gesprochen wird! Die Behörden verhindern damit Aufklärung und ein Aufdecken rechter Netzwerke online wie offline.. Sie bieten keinen Schutz für Menschen, auf die die Angriffe der Rechten abzielen. Das altbekannte Einzeltäternarrativ zeigte sich in Hanau und aktuell im Prozess zu den antisemitischen und rassistischen Angriffen in Halle.

Uns macht so wütend, dass Angehörige, Überlebende und Freund*innen der Ermordeten, bei den öffentlichen Gedenkfeiern ausgeschlossen werden, wenn Gedenken an rassistische Gewalt und deren Opfer keinen Platz im öffentlichen Raum findet. Als Beispiel hierzu die unerfüllten Forderungen nach Straßenumbenennungen in Berlin, Kassel und anderswo.

Uns macht so wütend,dass es nicht spätestens nach dem NSU bzw. NSU 2.0 eine öffentliche Debatte um Rassismus innerhalb der Polizei gab. Erst das Video des rassistisch motivierten Mordes an George Floyd in den USA brachte das Thema in deutsche Talkshows. Doch während Politiker*innen hierzulande strukturellen Rassismus in den Sicherheitsbehörden in den dort anerkennen, wehren sie sich gegen eine Studie zu rassistischer Polizeigewalt in Deutschland. Damit wird Rassismus jenseits des Atlantik verortet.

Uns macht so wütend, dass Buraks Bektaş’ Mörder immer noch frei herumläuft. Burak Bektaş wurde am 5.4.2012, kurz nach der Selbstenttarnung des NSU auf offener Straße in Berlin-Neukölln erschossen. Zwei seiner Freunde überlebten dabei schwerverletzt.

Uns macht so wütend, dass der Mörder von Luke Holland zwar verurteilt worden ist, doch das Gericht kein rassistisches Mordmotiv feststellen wollte; trotz Nazi-Devotionalien, diversen manipulierten schussfähigen Waffen, Munition und Sprengstoff. Der Name des Täters, Rolf Zielesinski, tauchte zwar als Hinweis in der Akte zu Burak Bektaş auf, doch die Behörden gingen dem nicht nach.

Zurzeit erreichen uns fast täglich neue Nachrichten über rassistische Gewalttäter in den Reihen der Polizei und befangener Staatsanwälte im Neukölln-Komplex. Ihnen wird nachgesagt, dass sie die Täter wegen politischer Nähe zu den Tätern schützten. Deshalb übernimmt die Generalstaatsanwaltschaft nun die Ermittlungen in der rechten Anschlagsserie, aber nicht im Fall Burak Bektaş da er bisher nicht als rassistischer Mord behandelt wird.

Uns macht so wütend, dass ein Berliner Polizist, der aufgrund eines rassistischen Angriffs vor Gericht steht, noch immer im Dienst ist. Er ermittelte in der EG Rex zu den Neuköllner Anschlägen und war bei der Vernetzung zivilgesellschaftlicher Gruppen zugegen. In seinen Dienstzeitraum im EG Rex fallen die Morde an Burak und Luke. Wir fragen uns, wie sich seine Beteiligung auf die Ermittlungen ausgewirkt hat.

Heute hat die Sonderermittlungseinheit BAO Fokus mitgeteilt, ihren Abschlussbericht zum Monatsende zu veröffentlichen. Sie hatte den Auftrag, die Ermittlungen in der Neuköllner Anschlagsserie fortzuführen und auch Verbindungen zu den Morden an Burak Bektas und Luke Holland zu prüfen. Wir erwarten von dem Bericht konkrete Ergebnisse und die Übernahme von Verantwortung seitens der Ermittelnden.

Wir fordern weiterhin einen Untersuchungsausschuss als Konsequenz der verschleppten und ergebnislosen Ermittlungen und angesichts der neuesten Erkenntnisse.
Wir schließen uns den Forderungen der Initiative 19. Februar Hanau an und erwarten lückenlose Aufklärung, auch über staatliches Wegschauen, mögliche Verstrickungen der Behörden und fordern Unterstützung und Gerechtigkeit für die Opfer, die Überlebenden und ihre Angehörigen konkret: politische Konsequenzen gegen die Rückkehr zur Normalität.

Gegen das Vergessen, gegen rechten Terror, gegen strukturellen Rassismus, gegen Alltagsrassismus und Antisemitismus und für eine offene und solidarische Gesellschaft in der Jede*r einen Platz hat!