MUSIK: Oasis: Wonderwall
Liebe Unterstützer*innen, liebe Freund*innen,
wir danken euch für euer Kommen. Wir gedenken heute Luke Holland, der vor sechs Jahren, am 20.09.2015, hier in der Neuköllner Ringbahnstraße ermordet wurde.
Zugleich gedenken wir auch Eugeniu Botnari, der am 20.09.2016, ein Jahr später, starb. Er verstarb an den schweren Verletzungen, die ihm ein Filialleiter eines Supermarkts in Lichtenberg zugefügt hatte. Der Täter wurde verurteilt. Doch weder das Gericht noch die Nebenklagevertretung thematisierten den gesellschaftlichen Rassismus und Sozialchauvinismus, in dessen Kontext die Tat möglich wurde.
Die Songs, die wir heute hören, waren Lukes Lieblingslieder. Wonderwall von Oasis war der erste Song, den er auf der Gitarre spielen lernte.
Luke Holland war Brite, 31 Jahre alt, Jurist und lebte erst seit kurzer Zeit in Berlin. Er kam gerade aus der Kiezkneipe „Del Rex“ – einer Bar, in der vor allem ein internationales, junges Publikum zusammenkam. Nach dem Mord an Luke wurde die Kneipe geschlossen.
Lukes Mörder, Rolf Zielezinski, wurde im Juli 2016 zu knapp 12 Jahren Haft verurteilt. Seine Wohnung war voller Nazi-Devotionalien, diversen schussfähigen Waffen und Munition sowie einem Kilo Schwarzpulver (Sprengstoff). Er äußerte sich häufiger verächtlich über “die Ausländer” im Kiez. In der Bar war er zuvor unangenehm und aggressiv aufgefallen, auch hatte er sich beschwert, dass in der Bar nur noch Englisch gesprochen werde.
Ein rassistisches/ rechtes Motiv wollten Richter und Staatsanwälte trotzdem nicht erkennen. Sie haben den Mordprozess damit entpolitisiert – die Tat wurde zu einem „Mord ohne Motiv“. Aus dem Mörder wurde verharmlosend ein “Waffennarr”, ein “Alkoholiker mit Sammelleidenschaft” und natürlich ein “Einzeltäter” vor dem Landgericht Berlin-Moabit. Einer Verbindung zur Reichsbürgerszene wurde ebenfalls nicht nachgegangen. Das Gericht hat die Aufklärung über einen möglichen Zusammenhang zum Mord an Burak Bektaş, trotz der Hinweise, vehement verhindert. Der Name Rolf Zielezinski tauchte bereits in der Akte von Burak auf. Er war einem Hinweisgeber als illegaler Waffenbesitzer bekannt. Er hat einen Bruder, der in der Nähe des Tatorts wohnte besucht und mit ihm Schießübungen durchgeführt.
Der Mord an Luke Holland am 20.09.2015 und auch der unaufgeklärte Mord an Burak Bektaş am 05.04.2012 gehören genauso wie die Angriffe, Anschläge und Bedrohungen gegen Linke, Migrant*innen, Buchläden und Kneipen zum sogenannten Neukölln-Komplex, einer nicht abreißenden Serie von rassistischen und faschistischen Gewalttaten in Neukölln.
Unsere Solidarität gilt Phillip Holland, dem Vater von Luke, seiner Familie und seinen Freund*innen.
Wir gedenken auch Rita Holland, der Mutter von Luke Holland, die sich am 21.10.2019 das Leben nahm, weil sie den Schmerz über den Verlust ihres Sohnes nicht mehr ertragen konnte.
Vor einem Jahr, am 20.09.2020 wurde Rita Holland in Manchester neben ihrem Sohn Luke beigesetzt. Auch ihr Tod geht zu Lasten des Mörders ihres Sohnes.
Wir möchten einige Worte von Familie, Freund*innen und Bekannten über Luke und den Schmerz über seinen Tod vortragen, auf Englisch und dann in deutscher Übersetzung.
Die Aussagen sind aus der Stellungnahme der Eltern bei Gericht:
Philip Holland, Lukes Vater, sagt:
He was, and should still be, intelligent, funny, hardworking, helpful and caring. I did not know how caring, and loved, until over 300 people attended his funeral, the majority I did not know.
Er war, und hätte es weiter sein sollen: intelligent, lustig, schwerarbeitend, hilfsbereit und fürsorglich. Ich wusste nicht, wie fürsorglich und beliebt, bis mehr als 300 Menschen an seiner Beerdigung teilnahmen, deren Mehrheit ich nicht kannte.
Luke was my favourite person, not only my son.
Luke war der von mir am meisten geschätzte Mensch, nicht nur mein Sohn.
Now our home, our life, our hearts are empty and silent, forever. We only have memories and no future without him in our lives.
Jetzt sind unser Zuhause, unser Leben, unsere Herzen leer und still, für immer. Wir haben ohne ihn nur Erinnerungen und keine Zukunft in unserem Leben.
Rita Holland, Lukes Mutter:
So the massive hole in our hearts is not just felt by us, his Mum and Dad, but felt all across England and many parts of the world. We are both humbled and proud, so very proud, of the man that Luke became.
Das riesige Loch in unserem Herzen wird also nicht nur von uns, seiner Mama und seinem Papa, sondern in ganz England und vielen Teilen der Welt gespürt. Wir sind beide demütig und stolz, so sehr stolz auf den Mann, der Luke geworden ist.
Phil and I still cannot believe, that we will never see our son again, hear his soft voice, his infectious laugh, feel his big strong hugs, smell the unique smell of our „baby“ boy, our young man. Go on holiday with him, plan trips together, sightseeing, galleries, all the fun and laughter we shared, all of the things that made our life worthwhile.
Phil und ich können es immer noch nicht fassen, dass wir unseren Sohn nie wieder sehen werden, seine sanfte Stimme, sein ansteckendes Lachen hören, seine großen, starken Umarmungen spüren, den einzigartigen Geruch unseres „Babys“, unseres jungen Mannes, riechen. Mit ihm in den Urlaub fahren, gemeinsame Ausflüge planen, Besichtigungen, Galerien, all den Spaß und das gemeinsame Lachen, all die Dinge, die unser Leben lebenswert gemacht haben.
All of our joy has been ripped from us. Each day the constant ceaseless pain and grief.
All unsere Freude wurde uns genommen. Jeden Tag der ständige unaufhörliche Schmerz und die Trauer.
I think, if you can die of a broken heart, then Phil and I are surely dying, day by long painful day.
Ich denke, wenn man an einem gebrochenem Herzen sterben kann, dann sterben ganz sicher Phil und ich Tag für Tag, jeder einzelne Tag ist schmerzhaft.
Tim Keech, Lukes Cousin:
Luke was so special to so many people. Someone who had charisma and kindness to match his drive and intelligence. Luke was a beloved cousin to me.
Luke war etwas Besonderes für so viele Menschen. Einer, der Charisma und Freundlichkeit paarte mit seinem „Drive“ und seiner Intelligenz. Luke war mein geliebter Cousin.
GGW, Geschäftspartner:
One of the kindest, intellectual and sensitive men there was. A lovely, gentle man. It was a privilege to know you Luke.
Einer der nettesten, intelligentesten und feinfühligsten Menschen, die es gibt. Ein netter, sanfter Mann. Es war ein Privileg, Dich zu kennen Luke.
Brian and Linda Keech, Lukes Onkel und Tante:
Our lovely nephew Luke. With all your great achievements, alle the lives you affected, all the people you supported and encouraged, and all the hearts you touched, you were way to young to depart this world.
Unser geliebter Neffe Luke. Mit all Deinen großen Erfolgen, all diesen Leben, die Du beeinflusst hast, all den Menschen, die Du unterstützt und ermutigt hast und all den Herzen, die Du berührt hast. Du warst zu jung, um diese Welt zu verlassen.
Rita und Philip Holland waren Nebenkläger*innen im Prozess und haben an den Prozessverhandlungen gegen den Mörder hier in Berlin teilgenommen. Sie haben währenddessen auch Familie Bektaş kennengelernt, es gab auch eine gemeinsame Presseerklärung. Die Familien weisen auch heute darauf hin, dass, wenn im Fall Burak Bektaş hinreichend ermittelt worden wäre, Luke Holland möglicherweise heute noch leben würde.
Heute, 6 Jahre nach dessen Mord, kann Philip Holland seine Worte nur wiederholen.
Wir verlesen nun noch ein Statement von Phillip Holland, dass er uns zugeschickt hat:
„I repeat how disgusted I was with the Trial Judges, who were obviously biased, in NOT accepting or acknowledging, that the murder of Luke, was based on the Neo-Nazi, Fascist ideology of Rolf Zielezinski. He may have been a lone person, however with the evidence and witness statements, put forward at the trial, it was obvious to any normal minded person, that this was a hatecrime.
I applaud the Initiative for their enduring efforts to obtain justice for the murder of Bura Bektas. Thankyou for remembering Luke and Rita, who I miss so,so much, every day of my life.
Kindest Regards
Philip“
„Ich wiederhole, wie entrüstet ich von den Prozessrichtern war, die offensichtlich voreingenommen waren, nicht akzeptierten oder anerkannten, dass der Mord an Luke auf der neonazistischen, faschistischen Ideologie von Rolf Zielezinski basierte. Er war vielleicht eine Einzelperson (oder: einsamer Mensch) gewesen, jedoch mit den Beweisen und Zeugenaussagen, die im Prozess vorgebracht wurden, war es für jeden normal denkenden Menschen offensichtlich, dass dies ein Hassverbrechen war.
Ich begrüße die Initiative für ihre anhaltenden Bemühungen um Gerechtigkeit für den Mord an Burak Bektas. Danke, dass ihr an Luke und Rita erinnert, die ich jeden einzelnen Tag meines Lebens so so sehr vermisse.
Liebe Grüße, Phillip“
**********************Zeit zum Innehalten *****************************
MUSIK: Elbow: Love you mate (friends of ours)
Zum Gerichtsurteil und Entpolitisierung rechter Gewalt.
Das Gericht verurteilte den Mörder am 11.07.2016 nach 21 Verhandlungstagen wegen Mordes an Luke Holland „aus Heimtücke“ und wegen „Verstoßes gegen das Waffengesetz“ zu 11 Jahren und 7 Monaten Haft.
„Heimtücke“ konnte das Gericht bei dem Mörder feststellen, ein Tatmotiv hingegen wollte das Gericht nicht erkennen. Eine besondere Schwere der Schuld, ein Hassdelikt, wurde nicht in Betracht gezogen bei der Urteilsfindung. Es wurde zu einem Mord ohne Motiv erklärt; das ist eine Katastrophe.
Der Mord an Luke Holland wird bis heute offiziell nicht als rechter Mord gezählt. Das Gericht wollte und konnte ein rechtes Tatmotiv nicht erkennen. Diese Entpolitisierung ist auch Teil des institutionellen Rassismus. Dieser zeigt sich in der verharmlosenden Gerichtsführung. Es wurde überhaupt nicht versucht, die Tat in einen politischen Zusammenhang zu stellen. Wäre dies geschehen, hätte das ein anderes Vorgehen in den Ermittlungen zur Folge gehabt.
Gleichzeitig fanden die Verhandlungen auf Anordnung des Richters in einem Hochsicherheitssaal statt. Diese Maßnahme wurde aus Vorsicht vor „linksgerichteten Kreisen“ getroffen. An einem der Prozesstage mussten Phil und Rita, um zum Gerichtsverfahren zu gelangen und nach der Verhandlung, einen “Spießrutenlauf durch eine Nazi-Gruppe machen”, die ihnen “ins Gesicht brüllten und schrieen”.
Die Verharmlosung, die Entpolitisierung und die fehlende Sensibilisierung für den Schutz von Betroffenen vor Gericht ist Teil einer in den letzten Jahrzehnten kontinuierlichen Verharmlosung von Rassismus und rechten Strukturen. Dies war vor dem NSU-Prozess so und ist jetzt immer noch so.
Wir fordern daher einen NSU-Untersuchungsausschuss für Berlin.
Wir fordern einen Untersuchungsausschuss, der den Neukölln-Komplex aufklärt.
Wir fordern, dass der Fall Burak Bektaş mit unabhängigen Ermittlungen neu aufgerollt wird.
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Fanny-Michaela Reisin
6. Jahrestag Mord an Luke Holland
Kundgebung am Tatort Ringbahnstraße am 20. September 2021
Liebe Freunde, Freundinnen, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
wir stehen heute hier in tiefer gemeinsamer Trauer.
Wir trauern um zwei junge Männer, um den am 5. April 2012 im Alter von 21 Jahre meuchlings zu spätem Abend aus dem Hinterhalt erschossenen Burak Bektaş und um den, nur vier Jahre später, mit gezielten Bauchschüssen aus einem Schrotgewehr, ebenfalls im Dunkel der Nacht im Alter von 31 Jahren um sein Leben gebrachten Luke Holland.
Wir trauern mit den Berliner Eltern Melek und Ahmed Bektaş und mit Rita und Phil Holland aus Manchester um ihre für immer verlorenen teuren Söhne, denen ihre Liebe und Fürsorge, ihre Arbeit und alle Zukunftsvisionen galten.
Wir trauern um Luke und Burak, wir trauern um die Familien, deren Leben von einem Tag auf den anderen völlig zerstört wurde. Von einem Tag auf den anderen war der geliebte Sohn, der geliebte Bruder, Neffe und Cousin aus seinem jungen Leben, das erst zu blühen begann, gerissen worden.
Wir trauern mit beiden Familien, denen ihre Söhne von einem – bei Luke wissen, bei Burak vermuten wir es – von einem Alt-Nazi für immer genommen wurde. Hier in Berlin, Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Mehr als 70 Jahre nach der Befreiung Europas vom mörderischen NS-Regimes, das viele nicht mehr länger erinnert wissen wollen, weil es angeblich längst vergangene Geschichte sei.
Liebe Freunde es ist kaum nachfühlbar, wie es für eine Mutter, für einen Vater ist, das eigene Kind zu Grabe zu tragen. Luke war Einzelkind! Der geliebte Sohn, die Erfüllung der Liebe, die Phil und Rita füreinander und 31 Jahre lang für Luke hatten. Ein Funke davon strahlte für mich, wann immer ich mit ihnen vor oder nach einem Gerichtstermin zusammen saß, trotz des unsäglichen Schmerzes immer noch! Zumal, wenn sie von Luke oder einer gemeinsamen Begebenheit mit ihm erzählten.
Luke war erfolgreich: Jura-Absolvent der renommierten University of Oxford, als Anwalt in London und Tokyo für Unternehmen tätig geworden, die sich im ökologischen Bereich dem fairen Handel mit Pflanzensamen wichtiger Lebensmittel1 verschrieben hatte. Die Eltern erzählten, wie froh sie waren, als Luke mit einem Freund einen eigenen Start-up in Berlin gründete und sich, nachdem er über immerhin fünf Jahre vorrangig in Tokyo und auf dem sonstigen südostasiatischen Kontinent war, hier in Berlin niederließ. Inmitten des europäischen Kontinents schien ihnen wie eine Nachbarschaft zu Manchester! Und dann das. –
Ein feiger Mord aus nächtlichem Hinterhalt 2016 mitten Berlin, Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, wo zunehmend mehr rechtsradikale Gewalttäter, Neo-Nazis und Faschisten allein oder in Gruppen ihre Unbill treiben, denen Rassismus, Menschenverachtung, Rechts- und Demokratie-Feindlichkeit gemeinsam ist. Von unauffällig blassen Tätern im Hinterhalt der sozialen Medien bis hin zu mörderischen Gewalttätern im Hinterhalt der Nacht, gestützt und geschützt von Gönnern und Hetzern in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik, etwa der AfD, der Reichsdeutschen oder, wie immer sie auch heißen. In Berlin sind Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichten, Muslime und Juden sowie unliebsame Politiker und Politikerinnen, zumal in Neukölln aber auch in anderen Teilen der Stadt, immer öfter Gewaltandrohungen und tätlichen Übergriffen bis hin – eben – zu Mord und Totschlag ausgesetzt.
Der Start-up mit einem Freund in Berlin war für Luke und seine Eltern die gerade begonnene neue Etappe seiner erfolgreichen Berufslaufbahn. Er hatte sich in Neukölln übrigens, gerade fünf Tage bevor er zu Tode kam, sein neues Zuhause eingerichtet. Ein sunny boy, so zu sagen. Und ja, hin und wieder hörten wir auch Menschen staunend sagen:
“Unvorstellbar, so ein junger, blonder, blauäugiger Weißer der europäischen Mehrheitsgesellschaft musste dies widerfahren …”
Rita Holland ließ solche Rede nicht zu und hielt sofort, trotz ihres unsäglichen Schmerzes über den, durch nichts auf der Welt ersetzbaren Verlust ihres geliebten Sohns, dagegen:
Das Leben und die Würde von Menschen sind unverletzbar und ungeachtet der Haut- und Haarfarbe, der religiösen, ethnischen und nationalen Herkunft vor jeder Art menschenfeindlichen Hasses und gewalttätiger Übergriffe zu schützen!
Das war Rita – deren Andenken wir hochhalten – so wichtig, dass sie mit ihrem Ehemann Phil jede Gelegenheit, ob in Gerichtsverhandlungen, auf Pressekonferenzen und Solidaritätsveranstaltungen, wahrnahm, es gerade heraus zu sagen:
Burak und Luke, Melek und ich ihre Mütter, sind Opfer derselben Menschenfeindlichkeit von Rassisten!
Freunde und Freundinnen! Ich trauere auch um Neukölln!
Ehemals ein “roter” Arbeiterbezirk und in Zeiten des NS-Regimes Unterschlupf für etliche Widerstandsaktivistinnen. Als Beispiel eine kurze Begebenheit aus meinem Leben: Ich bin jüdischer Herkunft. Nein, keine Zeitzeugin. Meine Eltern lebten, aus Deutschland und Österreich vertrieben, in der Emigration. Meine Tante Sophie, die ältere Schwester meines Vaters, blieb mit ihrem nicht jüdischen – damals hieß es “arischen” – Mann, Hans, in Berlin. Sie waren beide intellektuelle Kommunisten und zogen von Charlottenburg nach Neukölln, um hier in der Weimarer Zeit offen und ab 1939 im Untergrund gegen die Faschisten zu wirken.
Mein Onkel Hans wurde 1944 bei einer Aktion “erwischt” und in das KZ Sachsenhausen deportiert. Meine Tante Sophie überlebte den Faschismus, obwohl Kommunistin und jüdischer Abstammung immerhin zwölf Jahre in Berlin Neukölln unversehrt. Sie wurde, wie einige andere auch, vom Polizeirevier ihres Wohngebiets gedeckt.
Das hat es in Neukölln auch gegeben. Umso entsetzlicher nehme ich in den Medien und auch heute hier aus den Reden, den so genannten “Neukölln-Komplex” zur Kenntnis, womit jene Gewaltübergriffe von Rassisten und Faschisten auf Menschen gemeint sind, die hier leben und also, wirtschaftlich, sozial und politisch wirken wollen, aber nicht sollen!
Ich trauere um Neukölln und rufe den institutionell Zuständigen im Bezirk und in der gesamten Stadt zu:
• Richten Sie ihren Blick auf diesen Komplex!
• Setzen Sie Rechtsstaatlichkeit rigoros gegen Rechtlosigkeit und Rassismus durch!
• Alt- und Neu-Nazis dürfen laut Gesetz ihre Mensch- und Demokratiefeindlichkeit weder zur Schau tragen noch praktizieren! Setzen Sie diese Verbote rigoros durch!
Ich komme zum Schluss und richte die Aufmerksamkeit auf einige meiner Erfahrungen mit der Justiz am Landgericht Moabit: Ich war von der Internationalen Liga für Menschenrechte e. V. mit der Beobachtung des Mordprozess in Sachen Luke Holland betraut und hätte im Gerichtssaal einen regulären Platz einnehmen können. Gleich am ersten Verhandlungstag entschied ich jedoch, zusammen mit den Vertreterinnen der “Initiative zur Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş“ zu stehen, der ein Einlass durch das Hauptportal des Gerichtsgebäudes verwehrt worden war. Stattdessen wurden wir auf den Hintereingang verwiesen, wo jeder und jede einzeln eingelassen und einer ganzkörperlichen Leibesvisitation und Abtastung ausgesetzt war, einschließlich Schuhe ausziehen, Taschenkontrolle, Abgabe aller Gegenstände. Selbst Bleistift und Notizblock durften nicht in den Gerichtssaal mitgenommen werden.
Auf die Beobachtungstribüne im Stockwerk über dem Gerichtssaal gelangten wir über eine steinerne Wendeltreppe, die – Wandmauern eingeschlossen – völlig verdreckt, gefühlt seit Jahrhunderten nicht gestrichen und im Winter eiskalt war. Oben angekommen, gab es keine Toilette und erst recht keinen Raum zum Verbleib der Öffentlichkeit während der Verhandlungspausen.
Befragt nach dem Grund für diese Diskriminierung, nahm der vorsitzende Richter bei der Eröffnung des Prozesses Bezug auf einen Aufruf der Initiative zur Prozessbeobachtung und antwortete, er wolle keine politischen Krawalle im Gerichtssaal und beabsichtige ausdrücklich nicht, einen politischen Prozess zu führen. Ich habe den völlig friedfertigen Aufruf zur Protestbeobachtung ggf. zur Einsicht hier. Der vorsitzende Richter behielt seine Auffassung bei und folglich auch die diskriminierende Behandlung, die wir – um öffentliche Präsenz und Solidarität mit Lukes Eltern zu zeigen – bei jedem Gerichtstermin als Tortur über uns ergehen ließen. Dabei muss doch Öffentlichkeit im Interesse der Judikativen und jedes demokratisch gesinnten Richters liegen! Erst recht, wenn es um einen Mord an einem – wie sie sagen – “Ausländer” geht!
Wie kommen Richter und Staatsanwalt auf den Gedanken, dass ein Prozess gegen einen Mordverdächtigen, in dessen Wohnung, Hitlerbüsten, NS-Devotionalien, scharfe Waffen, Munition und jede Menge Schwarzpulver gefunden worden waren, dass der Prozess gegen ihn unpolitisch geführt werden könne? Wie kommt ein demokratisch gesinnter Richter darauf? Das war nicht nur am ersten Tag, sondern während jeder der sich über vier Monate verteilten 21 Gerichtsverhandlungen die ständig erfahrene Ungeheuerlichkeit bei diesem Prozess. In dem Urteil, das gegen den Nazi-Mörder Rolf Zielezinski erging, sehe ich diese Erfahrung widergespiegelt:
Die Staatsbediensteten vermochten nicht Rassenwahn und Fremdenhass als Syndrom und Tatmotiv zu erkennen und wussten stattdessen Alkohol und Depression als Tatursache zu identifizieren.
Als Fazit vieler Prozessbeobachtungen steht für mich fest: Die Justiz in Deutschland – nicht nur in Berlin, sondern in der gesamten Republik – ist auf dem rechten Auge, wenn schon nicht durchgängig blind, so doch in dem Sinne “sehbehindert”, als Gewaltübergriffe bis hin zu Mordanschlägen von rechtsradikaler Seite, offenkundig verharmlost und nicht als Gefahr für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie beurteilt werden.
Rassismus und Menschenverachtung müssen aber von Justiz, Polizei sowie von allen Bediensteten aller staatlichen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland im achten Jahrzehnt nach dem Faschismus mit Stumpf und Wurzel ausgemerzt werden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.