in dem Entwurf zur Beschlussfassung des Koalitionsvertrages zwischen Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) Landesverband Berlin, Bündnis 90/Die Grünen Landesverband Berlin und DIE LINKE. Landesverband Berlin über die Bildung einer Landesregierung für die Legislaturperiode 2021–2026:
Schatten über der Aufklärung von antisemitischen, antimuslimischen, rassistischen und rechten Morden und Gewalt
„Wir werden weiterhin im Sinne der Betroffenen alles für die Aufklärung der Neuköllner Anschlagsserie tun, auch mit der schnellstmöglichen Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.“ So die einzigen und wenig aussagekräftigen Worte zur Beschlussfassung des Koalitionsvertrages zum Neukölln-Komplex. Nach einem jahrelangen Kampf der Angehörigen und Betroffenen rassistischer, rechter Morde und Gewalt in Berlin-Neukölln ist das vorsichtig formuliert ein äußerst unzureichendes Ergebnis.
Ein PUA soll es sein – Richtig so!
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss soll im Berliner Abgeordnetenhaus eingerichtet werden, um die rechtsextreme Anschlagsserie in Neukölln, ihre Hintergründe und mögliche Fehler bei den Ermittlungen aufzuarbeiten. Darauf haben sich SPD, Grüne und Linke bei ihren Koalitionsverhandlungen geeinigt.
Wie lautet der tatsächliche Auftrag dieses PUA?
Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss ist eine Möglichkeit, um unabhängig ermitteln zu können. Die Einsetzung eines PUA würde auf die Ernsthaftigkeit des Willens zur Aufklärung von rechten, rassistischen und antisemitischen Morden und Gewalt weisen, die Strukturen aufdecken, Kontinuitäten aufzuzeigen und eine Grundlage bieten, um rassistische und rechte verantwortliche Täter*innen zu verfolgen und strafrechtlich zu belangen.
Ein solcher Ausschuss wäre ein wichtiger Beitrag, um Vertrauen in die Sicherheitsbehörden auch gerade in Teilen der Menschen mit Migrationsgeschichte wieder herzustellen.
Für uns stellen sich zur Arbeit des PUA noch Fragen:
- Wie lautet der tatsächliche Auftrag dieses PUA?
- Was verstehen die Autor*innen unter der „Neuköllner Anschlagsserie“? Warum eine Begrenzung auf die letzten fünf Jahre? Und warum sind die Morde an Burak Bektaş und Luke Holland nicht darin eingeschlossen?
- Werden Angehörige und Betroffene daran partizipieren?
Es ist aus früheren parlamentarischen Untersuchungsausschüssen (z.B. Thüringen PUA zum NSU) bekannt, dass eine breitestmögliche Aufklärung gewährleistet werden könnte. Leider haben wir seit der Selbstenttarnung des NSU und im NSU-Prozess in München erlebt, wie der Umgang mit den Angehörigen der NSU-Opfer und Betroffenen der Anschläge in der Praxis aussieht. Dass im Zusammenhang der Aufklärung rechten Terrors, der Verstrickung von Staat und Nazis und der Rolle der Polizei und Justiz nicht auf den Grund gegangen werden will, sehen wir weiterhin im Umgang der Behörden nach Anschlägen wie in München, Halle oder Hanau.
In Berlin-Neukölln gab es diverse Brandanschlagsserien noch vor dem 5.4.2012, als Burak Bektaş ermordet wurde. Ein Mord aus rassistischen Motiven liegt nahe. Der Mord ist bis heute nicht aufgeklärt. Und der Mord an Luke Holland im September 2015 ist noch immer nicht als ein rassistischer Mord anerkannt. Werden diese Morde der „Anschlagserie“ zugerechnet? Es zeigt sich immer wieder, dass die Auseinandersetzung in Politik und Gesellschaft mit dem Thema struktureller Rassismus, Antisemitismus, Verwicklungen von Sicherheitsorganen und Nazis sowie rassistische Polizeigewalt nicht angegangen werden.
Aufklärung von rassistischen und rechten Morden und Gewalt konsequent
Wir fordern nicht nur einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des umfassenden Neukölln-Komplexes, sondern auch einen Untersuchungsausschuss zum NSU für Berlin und die Aufklärung u.a. über die Rolle des LKA Berlin. Noch lange vor dem Bekanntwerden des NSU am 4.11.2011 war das LKA Berlin verstrickt in das bundesweite Geschehen des NSU-Komplexes. Das LKA Berlin leitete beispielsweise wichtige V-Leute an, die im Umfeld des NSU aktiv waren, und war als erstes aktiv im Schreddern von Akten, die in der Aufklärung des NSU-Komplexes hilfreich gewesen wären.
Ein Versagen der Politik im Kampf gegen rassistische Morde und Gewalt, gegen strukturellen Rassismus und Antisemitismus darf nicht zugelassen werden. Nach der jüngsten Konstituierung der Ampel-Regierung im Bund soll die AfD den Vorsitz des Innenausschusses inne haben. Mit dem Vorsitz hätte die AfD, deren Teile selbst vom Verfassungsschutz beobachtet werden, die Möglichkeit, Aufklärung von rassistischen, antisemitischen und rechten Gewalttaten und Morden zu be- und verhindern. Auch hätten sie Zugang zu sensiblen Daten und Informationen. Die Ampel-Regierung muss hier ganz klare Haltung zeigen mit Wirkung auf der bundes-, landes- und kommunalen Ebene im Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus gegen Schwarze, Rassismus gegen People of Color, Antimuslimischen Rassismus und Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja und im Kampf gegen rechte Morde und Gewalt.
Der Untersuchungsausschuss muss die Aufklärung von rassistischen und rechten Morden und Gewalt konsequent angehen, sich mit Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden beschäftigen, rassistische und antisemitische Strukturen sowie rechte Morde und Gewalt im Kontext sehen, notwendige Entscheidungen umsetzen und mit präventiven Strategien entgegenwirken. Die Betroffenen setzen immer wieder große Hoffnungen in Versprechungen aufzuklären. Daran werden wir die neue Regierung in Berlin auch zu messen haben.
Für Aufklärung und Gerechtigkeit, kein Schlussstrich!
Informationen:
25.11.2021 rbb: Untersuchungsausschuss soll Anschlagsserie in Neukölln aufarbeiten
07.12.2021 süddeutsche: AfD bekommt Vorsitz im Innenausschuss