Ein Jahr nach Mord an Burak Bektas in Berlin: Initiative für Aufklärung weist auf Racheaufrufe für Tod eines Rechtsextremen fast auf den Tag genau 20 Jahre zuvor hin
Von Claudia Wangerin
Burak Bektas wäre heute 23 Jahre alt. Ein Jahr, nachdem der türkischstämmige Berliner im Stadtbezirk Neukölln von einem Unbekannten erschossen wurde, haben dort am Samstag rund 500 Menschen mit einer Gedenkdemonstration an ihn erinnert. Die »Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak B.«, ein Zusammenschluß von Angehörigen, Freunden und Nachbarn sowie antirassistischen Gruppen und Mitarbeitern der Opferberatungsstelle Reachout, hatte dazu aufgerufen und offene Fragen an die Ermittlungsbehörden formuliert. Nach einer Schweigeminute vor der Sehitlik-Moschee am Columbiadamm zogen die Demonstrationsteilnehmer vor das Rathaus des Bezirks und zum Hermannplatz.
In der Nacht vom 4. zum 5. April 2012 hatte ein laut Täterbeschreibung 40 bis 60 Jahre alter Mann vor dem Krankenhaus Neukölln das Feuer auf eine Gruppe junger Männer eröffnet und den 22jährigen Burak Bektas mit einem Lungendurchschuß getötet. Alexander A., ein
16jähriger russischer Herkunft, und der arabischstämmige 17jährige Markus Jamal A. wurden lebensgefährlich verletzt. Zwei weitere junge Männer verfehlte der Mörder.
Konkrete Hinweise auf den oder die Täter gibt es laut Staatsanwaltschaft bis heute nicht trotz Vorstellung des Falls in der Fernsehsendung »Aktenzeichen XY«. Als sicher gilt bisher nur, daß Täter und Opfer sich nicht kannten. Mit der wiederholten Aussage, es werde in alle Richtungen ermittelt, wollten und wollen sich viele nach Bekanntwerden der rassistisch motivierten Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) nicht zufrieden geben.
»Fünf Schüsse, wortlos. Niemand kann es verstehen. Auch wir haben keine Erklärung. Dafür aber viele Fragen. Vor allem fragen wir uns: War Rassismus wieder das Motiv?«, sagte ein Sprecher der Initiative für die Aufklärung des Mordes ein Jahr später in einem Redebeitrag. Der Täter laufe noch immer frei herum und könne mit Waffen umgehen. »Unabhängig davon, ob der Mörder ein organisierter Neonazi war, ein >normaler< Rassist oder auch jener verrückte Einzeltäter, der die Polizei in alle Richtungen ermitteln läßt, schafft der Mordanschlag eine breite Verunsicherung auf den Straßen, vor allem unter den Jugendlichen.«
Als mögliches Indiz für ein rassistisches Mordmotiv sieht die Initiative neben langjährigen Neonaziaktivitäten im Stadtteil yor allem die zeitliche Nähe zum 20. Todestag des rechtsextremen Funktionärs Gerpard Kaindl. Der Landesschriftführer der» Deutschen Liga für Volk und Heimat« war am 4. April 1992 bei einer Auseinandersetzung mit türkisch- und kurdischstämmigen Antifaschisten in einem Neuköllner Restaurant tödlich verletzt worden.
1994 wurden dafiir drei Personen wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu Haftstrafen verurteilt, einer der Hauptverdächtigen konnte sich absetzen und starb nach unterschiedlichen Angaben 1994 oder 1996 in den kurdischen Gebieten der Türkei.
Nur wenige Tage vor dem Mord an Burak Bektas bezeichnete das NPD-Zentralorgan Deutsche Stimme Kaindls Tod als »ungesühnt«. In rechts extremen Intemetforen sei immer wieder zu Racheakten aufgerufen worden, betont die »Initiative fiir die Aufklärung des Mordes an Burak B.«
Eine Pressesprecherin der Generalstaatsanwaltschaft Berlin versichert unterdessen, bei den Ermittlungen sei »auch die Möglichkeit eines rassistischen Motivs in Betracht gezogen« worden. Es hätten sich aber keinerlei Hinweise darauf ergeben. Weil der Täter weiterhin unbekannt sei, könne aber ein solcher Hintergrund – wie auch jedes andere Tatmotiv – nicht ausgeschlossen werden. »Solange nicht der Gegenbeweis erbracht ist, gehen wh; davon aus, daß es auch ein rassistisches Motiv gewesen sein könnte«, sagte Helga Seyb von der Opferberatungsstelle Reachout am Samstag in Neukölln.
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