Es ist uns eine große Ehre, die Auszeichnung des Hans-Frankenthal-Preis 2016 in Hamburg erhalten zu haben, zusammen mit der Initiative “Gedenken in Harburg”.
Am 13. Oktober nahmen wir in Hamburg den Hans-Frankenthal-Preis der Stiftung Auschwitz-Komitee entgegen. Die Stiftung zeichnet mit dem Förderkreis Gruppen aus, die Aufklärungs‐ und Bildungsarbeit gegen das Vergessen und gegen nationalsozialistische und neofaschistische Bestrebungen leisten. Der Preis würdigt die Initiative für ihr Engagement, sich in Zusammenarbeit mit den Angehörigen von Burak Bektaș seit fünf Jahren für die Aufklärung des Mordes und ein lebendiges Erinnern in Berlin-Neukölln einzusetzen. Der auf 3000 Euro dotierte Preis ging neben uns auch an die Hamburger Initiative Gedenken in Harburg, die sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus im Stadtteil auseinandersetzt.
Die feierliche Preisverleihung fand im Lichthof der Staats-und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky statt. Sechs Vertreter_innen der Initiative, Melek Bektaş und weitere Familienangehörige waren angereist. Unsere Freund_innen von der Initiative Gedenken Mölln 1992, Preisträgerin des Vorjahres, waren ebenfalls zum Gratulieren in den Lichthof gekommen.
Der hohe Saal war gut gefüllt. Ein Trio namens Miras eröffnete den Abend musikalisch mit Laute und Gesang. Im Hintergrund zeigte ein großes Bild Hans Frankenthal, den Namensgeber des Preises. Links und rechts der Bühne präsentierten die Initiativen einige Ausschnitte ihrer Arbeit: eine Ausstellung, bunte Info-Flyer, Broschüren, Bücher und Plakate.
Martin Klingner von der Stiftung Auschwitz-Komitee hielt die von uns gespannt erwartete Laudatio. In seiner Rede skizzierte er den Entstehungshintergrund und die Arbeit der Initiative. Er kontextualisierte sie im Hinblick auf den NSU-Komplex und den institutionellen Rassismus, mit dem wir es bei Polizei und Staatsanwaltschaft zu tun hätten. Dieser verhindere, dass ein rechtsradikaler Hintergrund von Straftaten systematisch untersucht werde. Der Verdienst der Initiative sei es, dass sie nach dem Mord kritisch nachfrage und dafür sorge, dass die Tat nicht in Vergessenheit gerate. Mit dem Förderpreis wolle die Stiftung unsere kontinuierliche Arbeit stärken und einen Beitrag zur Verwirklichung des Gedenkortes leisten.
Von der Rede erfreut erklommen wir die Bühne und nahmen Blumen und Preis entgegen. Unsere Rede nutzten wir, um nicht nur der Stiftung, sondern vor allem Melek Bektaş für ihr Vertrauen in uns zu danken. Denn ohne ihr Vertrauen wäre unsere gemeinsame Arbeit nicht möglich. So sei es ein Preis, der die Familie und die Initiative auszeichne. Wir betonten, die Zusammenarbeit mit den Betroffenen sei zentral und ihre Unterstützung eine Konsequenz aus dem NSU-Komplex. Konsequent folgte auch ein Aufruf zur Teilnahme an der Demonstration In Gedenken an die Opfer des NSU-Komplex am 6.11. in Berlin. Auch Melek Bektaş ergriff schließlich das Wort und bedankte sich bei den Anwesenden für den Preis und ihre Unterstützung. Das Publikum antwortete ihr mit langanhaltendem, teils stehender Applaus.
Das Preisgeld verwenden wir für den geplanten Gedenkort für Burak Bektaş in Berlin-Neukölln. Wir wollen auch andere Initiativen und Gruppen ermutigen, sich für den Hans-Frankenthal-Preis zu bewerben. Informationen zum Preis und den bisherigen Preisträger_innen finden sich hier.
Informationen zur Ausschreibung des Hans‐Frankenthal‐Preises
Rede zur Verleihung des Hans-Frankenthal-Preises:
Wir danken der Stiftung Auschwitz-Komitee sehr herzlich für die Auszeichnung mit dem Hans-Frankenthal-Preis. Wir freuen uns und fühlen uns sehr geehrt.
Einen noch größeren Dank geht an dieser Stelle allerdings an Melek Bektaş, die uns ihr Vertrauen geschenkt hat – ohne das unsere Arbeit überhaupt nicht möglich wäre.
Der Preis zeichnet demnach auch nicht nur unsere Initiative aus, sondern ebenso und vor allem den Kampf der Familie Bektaş um Aufklärung und um ein ngemessenes Gedenken.
Die Zusammenarbeit mit den Angehörigen ist für uns von zentraler Bedeutung. Es ist eine der wichtigsten Konsequenzen, die wir aus dem NSU-Komplex ziehen. Und gerade heute – fünf Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU – möchten wir nochmal in aller Deutlichkeit sagen: Die Stimmen der Hinterbliebenen wurden während der vielen Jahre in denen der NSU mordend durch Deutschland zog und auch danach, weder im gesellschaftlichen Mainstream, noch in einer sich als antifaschistisch und antirassistisch verstehenden Linken gehört. Deswegen ist es uns ein Anliegen, die Angehörigen nicht allein zu lassen und sie in ihren Forderungen und Interessen zu unterstützen.
Eine weitere Konsequenz, die wir aus dem Umgang der Behörden mit dem NSU ziehen ist ein tiefes Misstrauen gegenüber den staatlichen Behörden in Deutschland. Wir haben gesehen, dass staatliche Institutionen ein grundlegendes Rassismusproblem haben. Deshalb müssen polizeiliche Ermittlungen kritisch und öffentlich begleitet werden. Das heißt auch, dass bei Hinweisen auf ein mögliches rassistisches Tatmotiv, zunächst mal von einem solchen ausgegangen werden muss, solange es keine Gegenbeweise gibt. Staatlichen Institutionen können wir das Hinschauen auf rassistische Hintergründe nicht überlassen, denn zu oft mussten wir schon feststellen dass sie ein solches nicht erkennen oder nicht sehen wollen.
Nur wenige Monate nach der Selbstenttarnung des NSU geschieht ein Mord in Berlin-Neukölln. Der Tathergang lässt uns aufhorchen: Ein weißer Mann schießt wortlos auf eine Gruppe als migrantisch wahrgenommene Jugendliche. Er kommt, schießt fünf Mal und entfernt sich langsam. Es wirkt wie eine Hinrichtung auf offener Straße. Wir fragen uns: Handelt es sich um eine NSU-Nachahmungstat? Auch wenn wir bis heute nicht wissen wer warum auf die Jugendlichen geschossen hat, drängt sich für uns ein rassistisches Motiv auf.
Zur Beerdigung von Burak Bektaş sind über 2000 Menschen gekommen. Wenige Tage danach gab es eine erste Demonstration von Angehörigen bei der von einem rassistischen Motiv ausgegangen wurde und die Forderung nach Aufklärung gestellt wurde. Von wenigen Ausnahmen abgesehen beteiligten sich weder bei der Beerdigung noch bei der Demonstration sich als antirassistisch und antifaschistisch verstehende Linke.
Daher kommt unsere Motivation, warum wir seit über vier Jahren gemeinsam mit den Angehörigen von Burak Bektaş für Aufklärung kämpfen. Denn das, was beim NSU geschehen ist, darf nicht wieder geschehen!
„Der rassistische Mord an Burak Bektas hat sich ereignet in unserer Zeitrechnung – in post-nazistischer Zeit!
Wir sehen eine Kontinuität von Nazi-Morden seit den 1990 er Jahren, Angriff gegen Migranten und Geflüchtete tagtäglich. Ein aktuelles Beispiel: Der Prozess in München gegen den sogenannten NSU. Er zeigt, dass sich nichts verändert hat, keine Konsequenzen aus dem NSU-Skandal gezogen wurden. Es ist sogar soweit, dass die Nebenklägerinnen und Nebenkläger gegen 2 Bundesanwälte Klage eingereicht haben wegen des Verdachts der Vereitelung von Beweismitteln. Die rassistischen Morde waren möglich im Zusammenspiel von Sicherheitsbehörden, Politik, Medien und Gesellschaft. Der Rassismus ist institutionell verankert. Aber „In Deutschland gibt es keinen Rassismus“, und „Das darf man ja wohl noch sagen dürfen.“, heisst es immer wieder.
Man kann von 174 Morden aus rechten Motiven ausgehen im Zeitraum von 1990-2011.Es herrscht eine Stimmung der Hetze, und der Staat – er gewährt.
Es gibt kein Signal vom Staat dagegen und leider auch nicht von der Mehrheitsgesellschaft.
Wir wären nicht die „Burak-Initiative“, wenn wir hier jetzt nicht im Gedenken an die Opfer rassistischer Morde zur Demonstration am 6.11. in Berlin aufrufen würden.
Rassismus tötet! Es braucht Konsequenzen – Jetzt!“
Ein aktuelles wichtiges Anliegen unserer Initiative ist die Schaffung eines Gedenkortes in der Nähe des Tatorts. Den Wunsch äußerte zum ersten Mal Melek Bektaş, die Mutter von Burak. Sie wünscht sich ein Denkmal für ihren Sohn, das nicht zu übersehen und unkaputtbar ist. Ganz in der Nähe des Tatorts, nicht
einmal 100 Meter entfernt, befindet sich eine Grünfläche, die dem Bezirk gehört. Hier soll ein Gedenkort für Burak Bektaş entstehen.
Der Gedenkort soll die Auseinandersetzung mit dem Mord an Burak Bektaş nicht abschließen. Ganz im Gegenteil. Er soll ein Ort des lebendigen Erinnerns sein und der Konfrontation mit den rassistischen Verhältnissen in unserer Gesellschaft dienen. Er soll ein Lernort sein, an dem zum Beispiel Schüler_innen sich mit rassistischer Gewalt und unaufgeklärten Morden an Migrant_innen beschäftigen. Der Gedenkort soll über den Einzelfall hinaus auf die vielen weiteren Opfer rechter Gewalt verweisen. Denn der Kampf um Aufklärung und Gedenken gehören für uns zusammen.
Die Bezirksverordnetenversammlung hat im Juni beschlossen, dass sie die Schaffung eines Gedenkortes für Burak Bektaş auf der beschriebenen Grünfläche begrüßt. Das ist ein erster wichtiger Schritt. Wir wollen aber politisch und gestalterisch unabhängig bleiben. Daher werden wir den Gedenkort komplett selbst finanzieren. Wir sind also auf viel Unterstützung angewiesen. Wenn Sie einen Beitrag dazu leisten wollen, finden Sie auf unserem Flyer Informationen dazu.
Nächstes Jahr, am 5. April 2017, dem 5. Todestag von Burak Bektaş, werden wir den Grundstein für die zentrale Skulptur des Gedenkortes legen. Sie alle sind herzlich eingeladen, an diesem Tag mit uns in Berlin die Einweihung des Fundaments und das Gedenken an Burak Bektaş zu begehen.
Laudatio von Martin Klingner / Stiftung Auschwitz-Komitee
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Familie Bektas:
Der Hans-Frankenthal-Preis wird 2016 der „Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektas“ aus Berlin verliehen. Seit 4 Jahren begleitet diese Initiative die Er-mittlungen in diesem Mordfall kritisch, fragt nach den Hintergründen, insbesondere nach einem rassistischen Tatmotiv und weist auf Parallelen in anderen Mordfällen hin.
Am 5. April 2012 wurde der 22-jährige Burak Bektas in Berlin Neukölln auf offener Straße ermordet. Ein unbekannter weißer Mann ging wortlos auf eine Gruppe junger Männer – mit offensichtlichem Migrationshintergrund – zu und gab mehrere Schüsse ab, Burak Bektas starb wenig später im Krankenhaus, zwei seiner Freunde wurden schwer verletzt, überlebten aber. Bis heute wurde der Täter nicht ermittelt.
Die Parallelen zu den Morden des NSU drängen sich auf. Kurz vor dem Mord an Burak Bektas war das Terrornetzwerk des NSU aufgeflogen, war bekannt geworden, dass die Neonazis 9 Menschen mit Migrationshintergrund und eine Polizistin er-schossen und viele weitere durch Bombenanschläge verletzt hatten. Ob der Mörder von Burak Bektas ein Neonazi war, steht nicht mit letzter Sicherheit fest. Dafür, dass er es war, spricht vieles. Es gab vor der Tat keinen Kontakt zwischen dem Mörder und Burak oder seinen Freunden, die Tat war eine Hinrichtung. Solch eine Tat spricht für sich, sie ist das Bekenntnis, so mordete Breivik in Norwegen, so mordete der NSU in Deutschland, so morden Nazis.
Die Polizei „ermittelt in alle Richtungen“, so heißt es. Eine Aussage, die kein Ver-trauen erweckt. Jahrelang ermittelten die deutschen Ermittlungsbehörden im Umfeld der Opfer des NSU und verdächtigten diese selbst, wurde ein rassistischer Hinter-grund der Taten geleugnet. Erst als sich der NSU zu seinen Morden bekannte, wurde das ganze Ausmaß des neonazistischen Terrors offenbar. Angeklagt allerdings wurde bis heute nur ein kleiner Teil dieses Netzwerkes.
Wir haben deshalb jeden Grund, den deutschen Ermittlungsbehörden zu misstrauen, auch in diesem Fall. Wir haben es in der Bundesrepublik Deutschland mit einem institutionellen Rassismus bei Polizei und Staatsanwaltschaft zu tun, der verhindert, dass ein rechtsradikaler Hintergrund von Straftaten systematisch untersucht wird. Hierfür gibt es leider zu viele Beispiele, ein weiteres davon ist der Brandanschlag auf die Flüchtlingskunterkunft in der Lübecker Hafenstraße im Januar 1996, bei dem 10 Menschen starben. Dieser ist bis heute nicht aufgeklärt, die Täter wurden nicht bestraft, obwohl die tatverdächtigen deutschen Nazis von Anfang an bekannt waren.
Wenn in Deutschland Menschen mit Migrationshintergrund ermordet werden, dann müssen wir wachsam sein und kritisch nachfragen. Eurer Initiative ist es zu verdan-ken, dass nachgefragt wird. Es ist euer Verdienst, dass sich viele Menschen in Berlin und darüber hinaus nicht damit abfinden, dass auch nach vier Jahren der Mord an Burak Bektas noch nicht aufgeklärt worden ist. Es ist euer Verdienst, dass diese Tat nicht in Vergessenheit gerät. Ihr sorgt dafür, dass Verbindungen hergestellt werden zu anderen Taten wie dem Mord an Luke Holland, der auf ähnliche Weise auch in Berlin Neukölln ermordet wurde und dessen Mörder nachweislich ein deutscher Nazi war.
Ihr arbeitet bundesweit mit anderen Initiativen zusammen, die ähnliche Ziele verfol-gen, wie dem „Freundeskreis im Gedenken an den rassistischen Brandanschlag von Mölln 1992“, den Preisträger_innen des Hans-Frankenthal Preises im vergangen Jahr.
Sie, Frau Bektas, haben sich gewünscht, dass es einen öffentlichen Gedenkort in Neukölln geben soll, der an Ihren Sohn Burak erinnert. Dieser soll in der Nähe des Tatortes liegen. Dieser Gedenkort soll ein sichtbares Zeichen dafür sein, dass dieser Mord bis heute nicht aufgeklärt ist. Er soll aber auch ein Ort sein, um sich mit dem alltäglichen Rassismus in Neukölln, in Berlin und in der gesamten Bundesrepublik auseinanderzusetzen.
Unsere Stiftung hat euch den Preis für eure Arbeit verliehen, um eure kontinuier-lichen Aktivitäten zu stärken und um einen Beitrag für die Verwirklichung des von euch gewünschten Gedenkortes zu leisten. Wir wollen hiermit aber auch zum Aus-druck bringen, dass wir uns nicht damit abfinden wollen, dass Menschen in diesem Land aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe oder Religion angegriffen, verletzt oder gar ermordet werden. Wir wollen uns nicht damit abfinden, dass die rassistische Hetze von Pegida, AFD und leider auch Teilen der etablierten Parteien den Nährboden für solche Taten bereitet. Wir wollen diejenigen stärken, die sich diesen Strömungen mutig und engagiert entgegen stellen.
Wir wünschen euch für eure weitere Arbeit alles Gute und viel Erfolg! Dieses Land hat es bitter nötig. Herzlichen Glückwunsch zum Hans-Frankenthal-Preis 2016.