2022-04-10 Redebeitrag von Melek Bektaş, der Burak-Ini, einige Fotos und Grußworte von TeKiez Halle

Redebeitrag von Melek Bektaş

Liebe Freundinnen und Freunde,
mein Name ist Melek Bektaş.
Ich bin die Mutter von Burak.
Nach 10 Jahren will ich hier ein paar Worte mehr zu euch sprechen.
Ich danke euch, dass ihr all die Jahre hierher gekommen seid, dass ihr immer an unserer Seite gestanden habt.
Auch wenn wir manches Mal dachten, dass zu unserer Demo niemand mehr kommen wird, seid ihr gekommen. Wir haben nicht damit gerechnet, dass ihr das so lange aushaltet. Dafür danken wir Euch. Ohne euch alle, würde es diesen Ort nicht geben. Wäre das Erinnern vielleicht nur noch eine Familienangelegenheit.

Ich halte etwas aus, von dem ich mir kurz nach Buraks Tod nicht vorstellen konnte, dass es möglich ist, das auszuhalten.
Aber ich habe inzwischen andere Menschen getroffen, die noch länger aushalten.
Die nicht mehr sprechen oder 20 Jahre nicht gesprochen haben. Das macht das Leiden nicht leichter aber ich sehe, dass Menschen das überlebt haben.
Wir werden oft gefragt: Was wünscht ihr euch? Und jetzt nach 10 Jahren, was soll ich mir wünschen? Ich will meinen Sohn zurück? Ich weiß, das geht nicht.

Was ich mir seit 10 Jahren wünsche ist: Der Mord soll aufgeklärt werden. Wie kann das sein, dass es nicht gelingt? Wie können alle noch helfen, dass es passiert? Die Polizei wird es nicht tun. Wer dann? Wir würden Alle unterstützen, die noch Ideen haben.
Ich wünsche mir, dass ich verstehe, was passiert ist. Ich wünsche mir, dass mein Sohn nicht einfach ermordet werden kann und niemand findet den Mörder.
Der Mörder wird hier noch sein. Aber er wird nicht sprechen. Zwingen können wir ihn nicht. Hoffentlich bricht er doch irgendwann zusammen.
Er sieht ja, dass es nicht unbemerkt geblieben ist und dass wir alle hier ihn dafür anklagen.
Ja, und wir klagen die Behörden an.
Es ist nicht unsere Art, hohe Gäste ständig zu empfangen. Aber natürlich haben wir ein offenes Haus für Alle, die helfen wollen. Viele waren da und haben vieles versprochen: Politiker und Polizeibeamte.
Wenig davon ist passiert.

Ich möchte, dass nie wieder eine andere Mutter, eine andere Familie so eine schreckliche Erfahrung machen muss.
Ein deutsches Sprichwort sagt: Die Zeit heilt alle Wunden. Das ist eine Lüge, die Zeit heilt nichts. Sie vergeht aber es bleibt der Schmerz. Dieser Schmerz ist vielleicht für jede Person anders und jede Person kann andere Wege finden, damit zu leben. Es ist ein Damit-leben. Keine Heilung.

Es gab Künstler und Künstlerinnen, die gearbeitet haben, um die Opfer der vielen Morde sichtbar zu machen – Opfern und den Familien ein Gesicht und eine Stimme zu geben.
Das hilft auch ohne große Reden. Und es hilft, dass der Mord an Burak nicht vergessen wird.

Wir haben uns als Familie gewünscht, dass es einen Ort zum Gedenkens gibt für Burak, meinen Sohn, der uns soviel Freude in seinem kurzen Leben geschenkt hat.
Daraus ist nun dieser Ort geworden, an dem sich Menschen erinnern. An Burak aber nicht nur an Burak, sondern auch an ähnliche Fälle. So ist der Name des Kunstwerkes, den die Künstlerin Zeynep Delibalta der Statue gegeben hat.

Wir freuen uns, wenn er genutzt wird. Wir freuen uns, wenn er als Gedenkort respektiert wird. Er zeigt, wie viele Menschen uns unterstützt haben. Die Initiative für die Aufklärung des Mordes hat uns gefragt, schon vor vielen Jahren: Was wünscht ihr Euch? Und Ihr alle habt geholfen, unseren Wunsch zu erfüllen.

Dafür danken wir Euch.

Redebeitrag der Burak-Ini

Liebe Melek, lieber Ahmet, liebe Familie Bektaş, liebe Freundinnen und Freunde von Burak,
liebe solidarische Menschen,

wir sind heute hier zusammengekommen, weil Burak, euer geliebter Sohn, Bruder und Freund, vor 10 Jahren gewaltsam aus dem Leben gerissen wurde.

Wir gehen von einem rassistischen Anschlag auf Burak und seine Freunde aus. Seit 10 Jahren stehen wir an der Seite der Angehörigen, begleiten die Ermittlungen und fordern Aufklärung.

Der Mord hat viele Leben verändert. Der Schmerz und die Trauer halten an. Die Zeit überwindet die Wunden nicht. “Acıya zaman aşımı yok.” Neben all dem Leid, dass den Familien und Freund:innen zugefügt wurde, sind auch viele weitere von Rassismus betroffenen Menschen verunsichert worden.

Zur Beerdigung von Burak Bektaş sind über 2000 Menschen gekommen. Freunde und Angehörige haben bereits kurz nach dem Mord eine Demonstration organisiert und Aufklärung gefordert. Von wenigen Ausnahmen abgesehen beteiligten sich weder bei der Beerdigung noch bei der Demonstration sich als antirassistisch und antifaschistisch verstehende Linke.

Als wir von dem Mord gehört und gelesen haben, war uns schnell klar, dass wir etwas tun müssen. Denn ein halbes Jahr nach der Selbstenttarnung des NSU waren wir alarmiert: War das eine NSU-Nachahmungstat? War das ein rassistischer Mord?
Im NSU-Komplex war der institutionelle Rassismus der Ermittlungsbehörden – wieder mal – offensichtlich geworden. Obwohl zahlreiche Angehörige und Überlebende von Anfang an auf ein mögliches rassistisches Tatmotiv hingewiesen haben, wurde in diese Richtung so gut wie gar nicht ermittelt. Ihnen wurde kein Glauben geschenkt. Stattdessen wurden sie selbst verdächtigt. Sie wurden von Opfern zu Tätern gemacht. Das migrantisch-situierte Wissen wurde von Staat, Politik, Ermittlungsbehörden, Polizei und Medien größtenteils nicht beachtet. Und nicht nur das, verantwortliche Stellen haben vertuscht, gedeckt und Aufklärung aktiv verhindert.

Das alles trug zum Ausbleiben der praktischen Solidarität von Zivilgesellschaft, politischen Gruppen und antirassistischen Bewegungen bei. Auch die antirassistische Bewegung, auch viele von uns, haben diese Wirkungsweisen des strukturellen Rassismus nicht durchschaut.

Das sollte uns nicht wieder passieren. Wir hielten es also für das Mindeste, die Familie nicht alleinzulassen und sie in ihren Forderungen und Interessen zu unterstützen. Was im NSU-Komplex zu Tage trat, sollte sich nicht wiederholen. Und so gründete sich die Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş und fordert öffentlich Aufklärung, Solidarität und gezielte Ermittlungen in Richtung eines rassistischen Tatmotivs.

Wir, die Burak-Initiative, sind Einzelpersonen, Aktivist:innen, aus den verschiedensten Bereichen und Zusammenhängen in Berlin. Die Initiative gründete sich etwa im Juni 2012, damals bei der Migrant*innenselbstorganisation Allmende am Kottbusser Tor. Es hat eine Weile gedauert, bis wir mit der Familie Kontakt aufnehmen und Vertrauen herstellen konnten. Denn die Polizei hatte der Familie davon abgeraten und die Initiative diffamiert. In der Anfangszeit unserer Arbeit war nicht abzusehen, dass es nach 10 Jahren keine Aufklärung geben würde, und dass wir so lange zusammenarbeiten würden. Wir danken der Familie Bektaş für das langjährige Vertrauen und die Zusammenarbeit mit uns, mit Menschen, die teils seit 10 Jahren dabei sind, oder erst seit 2 Jahren, die euch anfänglich fremd waren und über die ihr nichts wusstet. Wir haben großen Respekt für den Mut und die Kraft, welche die Familie Bektaş in ihrem jahrelangen Kampf um Aufklärung immer wieder aufgebracht hat. Wir haben große Anerkennung für die Freunde von Burak, die über all die Jahre zu ihrer Freundschaft zu Burak und zu Familie Bektaş stehen.

Seit 10 Jahren stehen wir solidarisch zusammen und fordern die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş. Was haben wir in dieser Zeit getan?
* Wir haben in Kooperation mit verschiedenen Politiker:innen fast 100 Fragen im Abgeordnetenhaus von Berlin und im Bundestag zu dem Mord gestellt.
* Wir haben zahlreiche Mahnwachen, Gedenkkundgebungen und Demonstrationen organisiert.
* Wir arbeiten mit den Anwält:innen zusammen. Mindestens 8 Anwälte und Anwältinnen waren oder sind mit den Akten beschäftigt.
* Wir haben Konktakte hergestellt zu Journalist:innen und Künstler:innen. Wir haben Veranstaltungen durchgeführt, Pressekonferenzen organisiert, Pressemitteilungen verfasst. Ungezählte Journalist:innen haben berichtet, viele solidarisch, andere haben mit Dreck geworfen und die Angehörigen schwer verletzt.
* Wir haben den Mordprozess an Luke Holland beobachtet, der 2015 in Neukölln ermordet wurde, und Familie Holland unterstützt.
* Wir haben uns mit zahlreichen anderen Gedenk- und Betroffenen-Initiativen bundesweit vernetzt. Wir waren in Köln beim Birlikte Fest und haben daraus das bundesweite Aktionsbündnis-NSU-Komplex-auflösen mitgetragen. Wir haben die Angehörigen und Betroffenen im NSU-Prozess in München unterstützt. Wir haben in München mit Familie Bektaş und ihren Rechtsanwält*innen eine Pressekonferenz durchgeführt.
* Wir haben den Gedenkort für Burak Bektaş an dieser Stelle geschaffen, so wie es sich Melek Bektaş vor Jahren gewünscht hatte. Sechs Jahre hat es gedauert und war nur dank zahlreicher Spenden von rund 70.000 Euro möglich. Der Gedenkort verbindet, er verbindet die Menschen, die trauern, mit den Menschen, die empathisch und solidarisch sind. Er verbindet die persönliche Erinnerung an Burak mit der öffentlichen Erinnerung und politischen Forderung nach Aufklärung.

Wir haben mit euer aller Hilfe getan, was wir konnten. Vielleicht war das nicht genug. Aber ohne all diese Aktivitäten wäre das Verfahren längst eingestellt worden. Das ist sicher.

Das Ergebnis kennen wir alle. Es gibt keins. Dass nach 10 Jahren noch immer kein Täter ermittelt wurde, ist erschütternd und macht fassungslos.

10 Jahre keine Aufklärung und keine Gewissheit. Das heißt 10 Jahre, in denen jeder Gang durch diesen Stadtteil den Gedanken aufkommen lässt, dass der Mörder sich hier noch aufhalten könnte, dass er an der Supermarktkasse hinter uns steht, dass er im selben Restaurant sitzt, dass er genau beobachtet, was wir seit vielen Jahren tun.

Was ist nun unsere Bilanz aus 10 Jahren kritischer Begleitung der Ermittlungsarbeit?

Frau Yozgat sagte nach Ende des NSU-Prozesses “arı gibi çalıştılar ama bal yapamadılar” – “Sie haben wie die Bienen gearbeitet, aber sie haben keinen Honig gemacht”. Das trifft für die Ermittlungen im Fall Burak ebenfalls zu.

Über die Jahre haben wir Detailinformationen über Vorgehensweisen der Ermittlungsbehörden erfahren, die darauf schließen oder zumindest die Ursachen dafür erahnen lassen, warum der Mord an Burak und der Mordversuch an zwei weiteren jungen Männern, nach wie vor nicht aufgeklärt worden sind. Ein paar Beispiele:

* Betroffene Zeugen berichteten, dass die Ermittlungsbehörden schon von Anfang an völlig chaotisch vorgingen.
* Die Überlebenden des Anschlags, die somit direkte Zeugen der Tat waren, wurden nur ein einziges Mal befragt. Dies geschah unmittelbar nach dem Mord, als die Jugendlichen noch unter Schock standen. Es wurde ihnen angekündigt, dass sie nochmal zur Erstellung eines Phantombilds geholt werden würden. Das ist aber nie passiert.
* Die Ermittler:innen haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Hülsen der Projektile hinreichend zu sichern und auszuwerten.

Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass Hinweisen gar nicht oder nachlässig nachgegangen wurde:

Wir wissen beispielsweise, dass in dieser Gegend viele Leute von der Polizei zu dem Mord befragt wurden. Was wurde mit den Antworten gemacht? Unklar.

Eine Ermittlungsgruppe des LKA gab Empfehlungen für neue Ermittlungsansätze. Diese wurden aber allem Anschein nach 2 1/2 Jahre lang einfach nicht umgesetzt, sondern ignoriert. Dazu kommt, dass sie erst viel später in die Fallakten kamen, sodass sie in dieser Zeit den Anwält:innen vorenthalten wurden. Nachdem der Skandal öffentlich wurde, versuchte Innensenator Geisel ihn als “Büroversehen” herunter zu spielen.

Ein weiterer Hinweis, dem nicht ordentlich nachgegangen wurde, hängt eng mit dem Mord an Luke Holland zusammen, der am 20. September 2015 in Neukölln ermordet wurde.
Luke Holland wurde von Rolf Zielezinski ermordet, der für diesen Mord auch verurteilt wurde. Im Prozess kamen viele Belege für die rechte, rassistische Gesinnung Zielsinskis zur Sprache. Ein rechtes Tatmotiv wurde von Gericht und Staatsanwaltschaft jedoch nicht festgestellt. Die Tat wurde entpolitisiert und der Mord als “Mord ohne Motiv” dargestellt. Dieses Urteil war ein Schlag ins Gesicht der Angehörigen und aller, die den Prozess beobachtet haben.

Brisant Im Zusammenhang mit dem Mord an Burak ist, dass der Name Rolf Zielezinski schon 2013 in der Akte zum Mord an Burak Bektaş auftaucht. Rolf Zielesinski war einem Hinweisgeber als illegaler Waffenbesitzer mit einem engen Bezug zum Tatort des Mordes an Burak Bektaş bekannt. Doch diesem Hinweis wurde nicht sorgfältig nachgegangen. Das hat der damalige Kommissar zugegeben, weil es ihm nachgewiesen wurde.

Vor diesem Hintergrund sagte Lukes Mutter Rita Holland: Wäre ordentlich ermittelt worden, hätte der Mord an Luke Holland möglicherweise verhindert werden können und Luke wäre noch am Leben.

Und wie bilanziert die Berliner Staatsanwaltschaft?
Der Mord an Burak sei – Zitat – “gewissermaßen das perfekte Verbrechen”, verlautbarte sie kürzlich in einem Pressegespräch. In Bezug auf die Ermittlungen habe sie sich nichts vorzuwerfen. Diese Schlussfolgerung kommt einer Kapitulation gleich. Sie ist ein Armutszeugnis. Sie ist ein durchschaubarer Versuch, die ergebnislosen Ermittlungen zu legitimieren.
Unsere Forderung nach unabhängigen Ermittlungen im Fall Burak Bektaş wird dadurch ein weiteres mal bekräftigt. Und natürlich werden wir auch den Untersuchungsausschuss zum Neukölln-Komplex kritisch begleiten und unsere Fragen und Forderungen dort einbringen.

Wir kritisieren seit Jahren und können es nur wiederholen: Einem rechten, rassistischen Tatmotiv wird im Fall Burak Bektaş nicht ausreichend nachgegangen. Die Behörden sind nicht in der Lage oder nicht willens, rechte, rassistische Handlungen und Motive zu erkennen, richtig zu beurteilen und effektiv zu ermitteln. Die Fehler sind nicht mehr gutzumachen.

Wer hat Burak ermordet? Dies ist die Frage, die uns hier alle zusammenführt.
Wir geben die Hoffnung nicht auf. Wir werden nicht vergessen. Und wir werden Aufklärung einfordern, wenn nötig weitere Jahrzehnte. Wir wissen, dass der Mörder irgendwann einen Fehler machen wird. Oder irgendwann ein Mitwisser nicht mehr schweigen kann oder sich verquatscht. Wir werden hier solange stehen, Jahr für Jahr, bis der Mord aufgeklärt ist.

Wir danken euch allen, die ihr heute gekommen seid, dass wir euch dabei an unserer Seite und an der Seite von Familie Bektaş und Buraks Freund:innen wissen.

Eindrücke von der Kundgebung am 10.4.2022 anlässlich des 10. Jahrestags der Ermordung von Burak Bektaş

Fotos in größerer Auflösung

weitere Fotos

Grußworte von TeKiez Halle zum 10. Todestag von Burak Bektaş und Gedenken an Mehmet Kubaşık

Wir gedenken und erinnern Burak Bektaş und Mehmet Kubaşık.
Wir denken an die Familien und Freund_innen von Mehmet Kubaşık und Burak Bektaş und unterstützen ihre Forderungen nach Gerechtigkeit und lückenloser Aufklärung.