2022-06-16 Redebeitrag zur Kundgebung – Beginn des parlamentarischen Untersuchungsausschuss Berlin zum “Neukölln-Komplex”

Hallo,
Wir sprechen hier für die Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş. Wir als Initiative fordern den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Neukölln-Komplex seit Jahren. Viel zu viele Straftaten mit rechtem Motiv werden in Neukölln nicht aufgeklärt. Wir wollen, dass aufgeklärt wird woran das liegt. Wir wollen, dass Verantwortliche merken, dass wir alle auf sie schauen. Dass uns allen klar ist, dass es hier um ein strukturelles Problem in den Berliner Sicherheitsbehörden gehen muss und dass wir keine Ruhe geben, bis die Verantwortlichen hierfür zur Rechenschaft gezogen werden. Wir geben keine Ruhe, bis Konsequenzen gezogen werden und sich das grundlegend ändert. Genauso setzen wir uns seit Jahren für einen NSU-Untersuchungsausschuss für Berlin ein. Wir alle wissen, wie auch über die Medien bestätigt, dass die Nazistrukturen in Neukölln und bundesweite Rechte Netzwerke und Sicherheitsbehörden u.a. das LKA Berlin, Verstrickungen aufzeigen.
Wir fordern, dass der Mord an Burak und 4 fache Mordversuch an Buraks Freunden als das anerkannt wird, was es ist.
Solange das Gegenteil nicht bewiesen ist, gehen wir weiterhin von Rassismus als Tatmotiv aus. Wir wollen wissen, durch welche Schritte in den Ermittlungen Rassismus als mögliches Tatmotiv geprüft wurde? Denn unser Eindruck ist, dass einem möglichen rassistischen Tatmotiv in den Ermittlungen nicht ausreichend nachgegangen wurde. Die Behörden sind entweder nicht in der Lage oder nicht willens, rechte, rassistische Handlungen und Motive zu erkennen, richtig zu beurteilen und effektiv zu ermitteln.

Der Mord an Burak Bektaş ist jetzt 10 Jahre her. Bei unserer Kundgebung zu Buraks zehntem Todestag hat Buraks Mutter Melek Bektaş eine Rede gehalten und wir wollen euch ein paar Auszüge daraus vorlesen:
„Was ich mir seit 10 Jahren wünsche ist: Der Mord soll aufgeklärt werden. Wie kann das sein, dass es nicht gelingt? Wie können alle noch helfen, dass es passiert? Die Polizei wird es nicht tun. Wer dann?
(…)
Ich wünsche mir, dass ich verstehe, was passiert ist. Ich wünsche mir, dass mein Sohn nicht einfach ermordet werden kann und niemand findet den Mörder.“
Im Jahr zuvor, an Buraks neuntem Todestag hat Familie Bektaş ihre drängenden und offenen Fragen zum Mord an Burak präzise zusammengefasst. Auch aus dieser Rede wollen wir euch vorlesen:
„Seit 9 Jahren gehen wir auf die Straße und stellen die selben Fragen.
– Wer hat Burak ermordet?
– Wieso musste er sterben?
– Was war das Motiv des Täters?
Seit 9 Jahren kann uns weder die Polizei, die Mordkommission noch die Politik diese Fragen beantworten. Damit ergeben sich weitere Fragen.
– Wie kann es sein, dass ein Mörder seit 9 Jahren auf freiem Fuß ist und ungestraft davon kommt?
– Wann wird der Mörder seine gerechte Strafe bekommen?
– Wann werden wir Gerechtigkeit erfahren?
Eine Frage stelle ich mir nach 9 Jahren nicht mehr.
– Hat die Mordkommission und Politik versagt?
Denn sie haben versagt.“

Auch der parlamentarische Untersuchungsausschuss wird den Mord an Burak nicht aufklären. Die begangenen Fehler werden nicht wieder gut gemacht. Aber wenn die Abgeordneten ihre Aufgabe gewissenhaft und hartnäckig ausführen, können wir vielleicht etwas darüber erfahren, wieso dieser Mord nicht aufgeklärt wurde.

Weitere Fragen, die uns als Burak-Ini sehr interessieren:

  1. Die Überlebenden des Anschlags, die somit direkte Zeugen der Tat waren, wurden unmittelbar nach dem Mord befragt, als die Jugendlichen noch unter Schock standen. Es wurde ihnen angekündigt, dass sie nochmal zur Erstellung eines Phantombilds geholt werden würden. Das ist aber nie passiert. Wieso wurden die Zeugen nicht mehr zur Erstellung des Phantombilds eingeladen? Wer hat diese Entscheidung getroffen und wieso?
  2. Am Tatort hat keine ordentliche Beweissicherung stattgefunden und Hinweisen wurde gar nicht oder nur nachlässig nachgegangen. Wieso wurden die Hülsen der Projektile nicht hinreichend gesichert und ausgewertet?
  3. Am 20. September 2015 wurde Luke Holland in Neukölln ermordet. Da es viele Ähnlichkeiten zwischen beiden Morden gab, sagte Luke Hollands Mutter Rita Holland: Wäre beim Mord an Burak ordentlich ermittelt worden, hätte der Mord an Luke Holland möglicherweise verhindert werden können und Luke wäre noch am Leben. Brisant ist, dass der Name des Mörders von Luke Holland, Rolf Zielezinski, auch schon 2013 in der Akte zum Mord an Burak Bektaş auftaucht. Rolf Zielesinski war einem Hinweisgeber als illegaler Waffenbesitzer mit einem engen Bezug zum Tatort des Mordes an Burak Bektaş bekannt. Doch diesem Hinweis wurde nicht sorgfältig nachgegangen. Das hat der damalige Kommissar zugegeben, weil es ihm nachgewiesen wurde. Wir wollen die Gründe erfahren. Warum wurde diesen Hinweisen nicht ordentlich nachgegangen? Die Familien Holland und Bektaş gehen davon aus, dass ihre Söhne von demselben Täter Rolf Zielezinski ermordet wurden. Wir wollen, dass im Rahmen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses alles unternommen wird, um diese These auszuschließen oder zu belegen.
  4. Rolf Zielezinski wurde für den Mord an Luke Holland verurteilt, allerdings ohne dass durch den Richter ein Motiv festgestellt wurde. Im Prozess kamen jedoch zahlreiche Belege für die rechten und rassistischen Auffassungen Zielezinskis zur Sprache. Der Mord wurde im Prozess entpolitisiert. War der Richter nicht fähig oder nicht willens ein rechtes Motiv zu erkennen? Was wird unternommen, wenn sich herausstellt, dass Richter*innen nicht fähig oder willens sind, rechte Motive zu erkennen?
  5. Eine Ermittlungsgruppe des LKA gab Empfehlungen für neue Ermittlungsansätze. Diese wurden aber allem Anschein nach 2 1/2 Jahre lang einfach nicht umgesetzt, sondern ignoriert. Wer ist hierfür verantwortlich zu machen? Wer hat solch ein Interesse an der Verschleppung der Aufklärung?
  6. In den Ermittlungsakten zum Mord an Burak war sehr lange Zeit ein umfangreicher Bericht nicht in den Akten. Für die Arbeit der Anwält*innen der Familie Bektaş ist diese Akte die wichtigste Informationsquelle. Ist die Akte nicht vollständig, wird ihre Arbeit sozusagen torpediert. Das Fehlen wichtiger Aktenteile – ihre Vorenthaltung – wurde von Innensenator Geisel als “Büroversehen” bezeichnet. Um welches „Büro“ soll es dabei gehen? Welche konkreten Personen sind dafür verantwortlich? Was waren die Motive? Dieses sogenannte Büroversehen bedeutet eine eklatante Verschleppung der Ermittlungen und wir wollen wissen von wem diese zu verantworten ist. Solche angeblichen Büroversehen kennen wir bereits von den NSU-Morden und es ist unerträglich, sie überhaupt so zu nennen! Nennen wir sie wenigstens Vertuschung.
  7. Am 8.4.2019 wurden falsche und verleumderische Aussagen über Burak im Berliner Kurier abgedruckt, was bei der Familie zusätzlichen Schmerz verursacht hat. In Folge einer Unterlassensklageandrohung hat der Verlag eine Richtigstellung veröffentlicht. Als Quelle für die falschen Informationen war in dem Artikel die Polizei angegeben worden. Wir wollen wissen, welche Person aus dem Polizeiapparat diese verleumderischen Falschinformationen an die Presse gegeben hat. Außerdem hatte der damalige Innensenator Geisel versprochen, zu prüfen, ob Ermittlungen in diesem Fall sinnvoll sind. Wir warten bis heute auf Antwort. Was ist bei dieser Prüfung heraus gekommen? Es ist unerträglich, dass die Familie hier keine Gewissheit bekommt und die Staatsanwaltschaft offensichtlich kein Interesse hat, Opfer zu schützen und rechte und rassistische Strukturen aufzuklären; statt dessen decken sie diese Strukturen und machen sich damit zu Mittäter*innen.
  8. Gab es personelle Überschneidungen bei den Ermittlungen im “Neukölln-Komplex” und den Morden an Burak und Luke?

Zusammen mit den anderen Initiativen und den Betroffenen werden wir weiter nach Aufklärung verlangen und nicht nachgeben. Wir werden unsere kritischen Fragen stellen und unser Wissen einbringen und das erneute Ausbleiben von Antworten anprangern, wenn der Untersuchungsausschuss diese verfehlt. Und wir fordern weiterhin auch die Aufklärung über die Zeiträume, die in diesem Untersuchungsausschuss ausgeklammert bleiben: Was war die Rolle der Berliner Sicherheitsbehörden im NSU-Komplex? Für Aufklärung zu sorgen ist das Minimum, wofür wir uns als Gesellschaft einsetzen können – für Gerechtigkeit und Konsequenzen.

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Kundgebung am 16. Juni um 13 Uhr zum Beginn des Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum “Neukölln-Komplex”

Neukölln-Komplex aufklären & Konsequenzen für Täter*innen und Unterstützer*innen

Kundgebung: Donnerstag, 16. Juni, 13 Uhr, Niederkirchnerstraße 5, 10117 Berlin

Brandstiftungen, Drohungen, Sprühen von Nazi-Symbolen und die Morde an Burak Bektaş und Luke Holland. Seit 2009 verübten Rechte 157 Taten gegen Migrant:innen und Linke im Rahmen einer Neuköllner Anschlagsserie (Neukölln-Komplex). Es gab Anschläge auf Menschen, Autos, Wohnungen, Cafés und Konditoreien. Erst am 23. Mai brannte wieder ein Auto in der Hufeisen-Siedlung und es wurde in Kauf genommen, dass Menschen dabei verletzt werden.
Trotz zahlreicher Hinweise auf bekannte Neonazis konnten über Jahre weder die Taten aufgeklärt werden und noch wurde jemand verurteilt. Vielmehr fielen Beamt*innen von Polizei und Staatsanwaltschaft durch rassistische Taten oder Aussagen auf, gaben Daten an Neonazis weiter oder hielten Informationen über akute rechte Bedrohungen zurück.
Nach großem öffentlichen Druck vor allem durch Betroffene wurde ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, um diese Missstände aufzuklären. Am 16. Juni 2022 soll dieser Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufnehmen.

Wir fordern:
– Die lückenlose Aufklärung der Neuköllner-Anschlagsserie!
– Rechte Netzwerke bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz zerschlagen!
– Rechten Terror als solchen benennen, aufklären und bekämpfen!
– Weitergabe von Daten an Rechte aufdecken und beenden!

Kommt zur Kundgebung am 16. Juni ab 13 Uhr, Niederkirchnerstraße 5, 10117 Berlin