Beitrag der Initiative „München erinnern!“, von “Rudow empört sich”, Aufruf zur Kundgebung am 5. April 2023

Beitrag der Initiative „München erinnern!“

Liebe Familie Bektaş, liebe Angehörige, liebe Überlebende, liebe Unterstützer*innen,

Wir trauen heute gemeinsam mit euch um Burak und stehen an eurer Seite um die Erinnerung an ihn hochzuhalten.
Heute vor 11 Jahren wurde er aus eurer Mitte gerissen und noch immer habt ihr keine Gewissheit wer ihn ermordet hat.
Noch immer gibt es keine Aufklärung, keine Konsequenzen, keine Gerechtigkeit. Unerträglich der Gedanke, dass der Mörder eures Sohnes, Bruders, Freundes immer noch frei herum läuft. Zurecht seid ihr stets laut und fordert eine lückenlose Aufklärung.

Vieles deutet auf Rassismus als Tatmotiv hin.

Auch beim rechtsterroristischen Anschlag in München am OEZ gab es von Anfang an deutliche Hinweise auf eine rassistische Motivation des Täters.
Der Täter wählte gezielt Menschen vor dem Hintergrund seines rassistischen Weltbildes aus. Er verübte den Anschlag gezielt am 22. Juli, den Jahrestag des rechtsterroristischen Anschlags in Utoya und Oslo und benutzte zudem die gleiche Waffe wie der Täter dort.
Ein Jahr zuvor hatte er ein rassistisches Manifest verfasst. Er war international mit anderen Rechtsradikalen vernetzt.
Trotzdem hat es drei Jahre gedauert, bis die rechte Motivation der Tat offiziell anerkannt wurde.
Lange Zeit haben Politiker*innen sowie Gesellschaft das falsche Narrativ des Amoklaufs aufrecht erhalten und diese schreckliche Tat somit entpolitisiert und die strukturelle Gewalt dahinter unsichtbar gemacht. Die Angehörigen wurden allein gelassen und eine breite Unterstützung blieb aus. Eine intensive Aufarbeitung, die womöglich spätere rechtsterroristische Anschläge verhindern hätte können, blieb aus. Eine Anerkennung des Schmerzes, des Unrechts, das ihren Liebsten widerfahren war, blieb aus.
Es tut uns leid, dass auch ihr bisher keine Anerkennung erhalten habt und diesen oft einsamen Weg gehen müsst. Zusätzlich wird euer Gedenken immer wieder durch rechte Schmierereien und Schändungen gestört. Seit Jahren versuchen Nazis in Neukölln Angst und Schrecken zu verbreiten.
Umso wichtiger ist jede einzelne Person, die heute hier ist und die Erinnerung an Burak Bektaş hoch hält.
Wir wollen fest daran glauben, dass ihr Gerechtigkeit erfährt und Aufklärung stattfindet. Und wir hoffen das Unrecht, das Burak angetan wurde, endlich anerkannt wird.
Auch in München wurde nur durch den unermüdlichen Kampf der Angehörigen die offizielle Einschätzung eines Amoklaufs widerrufen und anerkannt, dass es rechter Terror war.
Wir wollen euch heute unsere Unterstützung zusagen in eurem Kampf um Anerkennung. Hört nicht auf zu kämpfen. Bleibt laut, bleibt stark. Wir werden solidarisch an eurer Seite stehen.
In Erinnerung an Burak Bektaş!

In Erinnerung an Armela Segashi, Can Leyla, Dijamant Zabërgja, Guiliano Kollmann, Hüseyin Dayıcık, Roberto Rafael, Sabine S., Selçuk Kılıç, Sevda Dağ –
Deren Leben vor fast sieben Jahren in München ausgelöscht wurde.
Und in Erinnerung an alle Menschen, die durch rechte Gewalt getötet wurden.

Keiner wird je vergessen!

Rede von “Rudow empört sich” zu Buraks 11. Jahrestag seiner Ermordung

Liebe Familie Bektas, liebe Freundinnen, liebe Freunde,

seit der Ermordung von Burak sind nun schon 11 Jahre vergangen. 11 Jahre des Schmerzes und der Trauer für die Angehörigen, aber auch 11 Jahre der Wut. Denn die Zweifel an den Ermittlungsbehörden, ob diese bei ihrer Arbeit wirklich alles unternommen haben, um den Täter aufzuspüren und zur Rechenschaft zu ziehen sind groß. Diese Zweifel sind mehr als berechtigt, wenn wir uns anschauen, was es alles an Skandalen rund um den Neukölln-Komplex gibt.

Die Liste der Skandale fängt nämlich eben genau damit an, dass entgegen der Beteuerungen durch den Innensenat zur Aufklärung des Neukölln-Komplexes viel zu wenig Personal eingesetzt wurde. Es wurde also nicht wirklich alles unternommen, um den Nazi-Terror aufzuklären.

Aufklärungserfolge werden eher unabsichtlich erzielt: als ein Antifaschist in Neukölln per Videokamera observiert wurde, spazierte der Neonazi Sebastian T. plötzlich ins Bild und wurde beim Versprühen seine Haßbotschaften gefilmt.

Die Naziattacken auf das Anton-Schmaus-Haus sind immer noch nicht aufgeklärt. Auch die zahllosen Brandanschläge im Rahmen des sog. Neukölln-Komplexes sind weiterhin nicht aufgeklärt. Das Versagen der Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden gibt Anlass zu der bösen Vermutung, dass in diesen Apparaten die Ermittlungstätigkeiten hintertrieben wurden und werden. Warum musste ein Staatsanwalt von der Bearbeitung des Neukölln-Komplexes abgezogen werden? Was hatte ein LKA-Beamter gemeinsam mit dem Hauptverdächtigen Sebastian T. In einer Rudower Kneipe zu suchen? Warum weiß der Verfassungsschutz scheinbar alles rund um den Brandanschlag auf das Auto des Linkenpolitikers Ferat Kocak am 1.2.2018, aber offizell nichts über die Tatnacht?

Dem unablässigen Drängen der von Nazi-Anschlägen Betroffenen, der Arbeit von Investigativjournalisten und dem Einsatz der Zivilgesellschaft ist es zu verdanken, dass im letzten Jahr ein Parlamentarischer Untersuchungs-ausschuss die Arbeit mit dem Ziel aufgenommen hat, Licht in das Dunkel rund um den Neukölln-Komplex zu bringen: angefangen mit den Anschlägen auf das Anton-Schmaus-Haus über die Ermordung Buraks hinweg bis hin zu der Brandanschlagsserie beginnend in 2016 Doch die erfolgreiche Arbeit eines Ausschusses ist abhängig davon, wie die Zuarbeit des Behörden erfolgt. Diese ist bisher alles andere als zufriedenstellend und man fühlt sich an die NSU-Untersuchungsausschüsse erinnert. Die mangelnde Bereitstellung von Akten wird u.a. mit dem laufenden Gerichtsprozess gegen die Haupttatverdächtigen im Neukölln-Komplex begründet.

Ich bin Dreifachbetroffener im sogenannten Neukölln-Komplex. Vor dem Amtsgericht Tiergarten wurde von der Staatsanwaltschaft nur in Bezug auf meinen dritten Anschlag am 1.2.2018 Klage erhoben, wie auch in Bezug auf den Brandanschlag auf das Auto von Ferat Kocak in der gleichen Nacht. Außen vor blieben also die beiden anderen mich betreffenden Anschläge wie auch die zahlreichen anderen Naziattacken und Brandanschläge im Rahmen des Neukölln-Komplexes. Die beiden Hauptverdächtigen wurden im Januar in den betreffenden Anklagepunkten freigesprochen. Meine Erwartung an den Gerichtsprozess war von Anfang an nicht groß. Schon zu Beginn des Prozesses lag die Vermutung nahe, dass die Richterin keinen Bock auf diesen Prozess hatte und ein schnelles, schlankes Verfahren wollte. Nicht zuletzt deshalb wurde offensichtlich Ferat Kocak als Nebenkläger zunächst abgewiesen. Wie aus anderen, ähnlich gelagerten Verfahren bekannt, wurde auch in diesem Prozess die Frage eines erweiterten Täterkreises nicht weiter thematisiert. Rechte Strukturen im Hintergrund der Tatverdächtigen sind also gemäß der Richterin ohne Relevanz. Auch der Forderung der Nebenklage, den Verfassungsschutz zur Offenlegung seiner Akten in Bezug auf den Neukölln-Komplex aufzufordern wurde nicht nachgekommen. Dann wäre man ja nicht mal in fünf Jahren mit dem Prozess fertig – so die Richterin.

5. April 2023 – 11. Todestag von Burak Bektaş – Kommt zur Kundgebung um 17 Uhr

In Gedenken Burak Bektaş – Aufruf zur Kundgebung am 11. Jahrestag seiner Ermordung

Mittwoch den 5. April 2023 / 17.00 Uhr / Gedenkort für Burak Bektaş – Rudower Straße / Möwenweg / Berlin-Neukölln (Süd)

Burak Bektaş wurde am 5. April 2012, im Alter von 22 Jahren in Berlin Neukölln auf offener Straße ermordet. Der Mord an Burak Bektaş und der vierfache Mordversuch an seinen Freunden, sind nach wie vor nicht aufgeklärt. Zwei seiner Freunde überlebten diesen Anschlag schwerverletzt. Der Mord ereignete sich nur wenige Monate nach dem Auffliegen des NSU-Komplex. Der Tathergang deutet auf ein rassistisches Mordmotiv. Ein weißer Mann kam, schoss auf eine Gruppe von Jugendlichen mit Migrationsgeschichte und verschwand. Die Ermittlungsbehörden konnten bereits zu Beginn der Ermittlungen alle möglichen Mordmotive ausschließen, bis auf eins: Rassismus. Auch eine NSU-Nachahmetat ist naheliegend.

Seit 11 Jahren gibt es noch immer keine Aufklärung, keine Gewissheit.
Die Familie und Freund*innen und Unterstützer*innen kämpfen seit 11 Jahren für Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenzen. Wir Fragen: Was machen Staat und Behörden seit 11 Jahren? Noch immer läuft ein Mörder frei herum. Solange uns das Gegenteil nicht bewiesen wird, gehen wir von Rassismus als Tatmotiv aus. Seit 2022 behauptet die Staatsanwaltschaft, sie habe alle Ermittlungsansätze nochmals überprüft und dabei nur “dünne Spuren“, „einige Lücken“, „fehlende Beweise“ und ein „Nazi-Verdacht“ gefunden. Mit uns wird es keinen Schlussstrich für die Ermittlungsbehörden bei einem unaufgeklärten Mord und 4-fachen Mordversuch geben.

Seit dem Sommer 2022 gibt es einen von Betroffenen erkämpften Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) in Berlin, der “Ermittlungsvorgehen im Zusammenhang mit der Aufklärung der im Zeitraum von 2009 bis 2021 erfolgten rechtsextremistischen Straftatenserie im Bezirk Neukölln” untersuchen soll. Ob dieser Antworten auf 11 Jahre Ungewissheit bringen wird, wird sich noch zeigen. Der Mord an Burak Bektaş und Luke Holland wurden dort bisher noch nicht behandelt. Diese Akten sind zumindest beim Untersuchungsausschuss angekommen. Wie der PUA seine Arbeit nach den Wahlen fortsetzen wird, werden wir kritisch beobachten. Die bekannt gewordenen rassistischen Morde seit den 1980er und 1990er Jahren zeigen systematische Bagatellisierung, Vertuschung und Decken der Nazigewalt durch die Ermittlungsbehörden. Daher fordern wir:

Der Mord an Burak Bektaş muss durch unabhängige Ermittlungen neu aufgerollt werden!