2016-04-19 Wir gedenken Muzaffer Türkoğlu; Betroffener des Anschlags Keupstr. / Köln – verstorben am 19. April 2015

Wir gedenken Muzaffer Türkoğlu; Betroffener des Anschlags Keupstr. / Köln – verstorben am 19. April 2015

DIE REISEN DES MUZAFFER TÜRKOĞLU

Vor einem Jahr ist Muzaffer Türkoğlu am 19.04.2015 im Alter von 72 Jahren verstorben ist. Er litt viele Jahre nach dem Anschlag noch an dessen Folgen, wie Ängsten und Schlafstörungen.

Muzaffer war einer der Opfer des rassistischen Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße im Juni 2004. Er war Berliner zum Zeitpunkt des Bombenanschlags und war bei der Tageszeitung “Sabah” als Journalist im Bereich Sport tätig. Er war nur nach Köln gereist, um gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder, der zu diesem Anlass extra aus der Türkei einreiste und einem Freund Zeit zu verbringen, die Stadt zu zeigen…
So begannen die Reisen des “Muzaffer Bey” und eine Suche nach “dem Tapferen”. Wie so viele andere wurde er vom Opfer zum Verdächtigen- die Ermittlungen der Polizei – gegen ihn und seinen Bruder und auch dem Freund setzten sofort nach dem Anschlag ein und zogen sich über Jahre bis zur Aufdeckung des NSU-Komplex im November 2011. Dieser “Anschlag nach dem Anschlag” setzte Muzaffers psychisch und physisch stark zu.
Als am 20. Januar 2015 im NSU Prozess in München die Zeugenaussagen der Opfer aus der Keupstr. begannen, begleiteten Mitglieder unserer Initiative und andere Antirassist_innen Muzaffer im Reisebus nach München. Trotz Krankheit und hohen Alters war Muzaffer entschlossen den Angeklagten vor Gericht entgegenzutreten und auszusagen. Unermüdlich stand er den ganzen Tag mit uns in der Kälte – Muzaffer war ein Mann “alter Schule” – gab Fernsehinterviews und demonstrierte vor dem Gericht für eine Aufklärung des NSU-Komplexes. Ein Schwächeanfall hinderte ihn am nächsten Tag an der Aussage. Zurück in Berlin begab er sich sogleich im Krankenhaus in ärztliche Behandlung, wo wir uns zuletzt sahen.
Muzaffer ist gestorben ohne die Genugtuung, dass die rassistischen Täter des Keupstraßenanschlags verurteilt worden wären. Ohnehin waren seine Erwartungen vor allem anderen direkt an den Staat gerichtet. Vergeblich erwartete er, dass Mitglieder der Regierung die Verantwortung für die Beteiligung der Institutionen am NSU-Komplex übernehmen würden und sich dafür bei den Opfern entschuldigten.
Muzaffer sagte, er warte auf “den Tapferen” aus den Reihen der Regierung, “der zugibt, dass es solch ein ‘Projekt’ gab, die Verantwortung dafür übernimmt und sich bei den Opfern entschuldigt”. Er wurde vor der Neuköllner Şehitlik Moschee in Berlin betrauert und in seiner Heimat … beigesetzt. So waren die Reisen des Herrn Muzaffer Türkoğlu.

Als “Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş” sprechen wir seiner Familie, den Angehörigen und Freunden erneut unser Beileid aus. Im Gedenken an Muzaffer Türkoğlu und all den anderen Opfern des NSU fordern wir eine rückhaltlose Aufdeckung des NSU-Komplex – vor allem auch der staatlichen Verstrickung darin.
Muzaffer lebt weiter in unseren Erinnerungen und Kämpfen.