am 25.03.2017 in Süd-Neukölln (Berlin)
Am 25.03.2017 demonstrierten über 700 Menschen, gegen Nazigewalt und Rassismus in Südneukölln. – in Solidarität mit den Menschen deren Autos angezündet, auf deren Arbeitsplatz ein Brandanschlag verübt wurde, deren Scheiben eingeworfen, deren Hauswände mit Morddrohungen versehen wurden.
Seit Herbst 2016 wurden über 20 Naziangriffe auf Buchhändler, Gewerkschaftler*innen, vermeintliche Linke und SPD‘ler*innen in Berlin-Neukölln, Kreuzberg und dem Wedding verübt.
Kein einziger Täter wurde verhaftet, genauso wenig wie der Mörder von Burak Bektaş.
Burak Bektaş 5. Todestag ist am 5. April 2017, wir laden euch herzlich zur Grundsteinlegung und Kundgebung um 18:30 Uhr gegeüber dem Krankenhaus Neukölln Rudower Straße Ecke Möwenweg ein.
Hier unser Redebeitrag:
Wir demonstrieren heute hier unsere Solidarität mit unseren Freundinnen und Freunden, mit unseren GenossInnen, denn sie wurden in den letzten Wochen und Monaten in Neukölln von Nazis angegriffen. Nazis haben politische Aktivist_innen bis in ihr persönliches Umfeld verfolgt und dort ihre Wohnhäuser, ihre Autos etc. angegriffen Wir alle demonstrieren hier gegen Nazigewalt und Rassismus, gegen Gewalt von Nazis gegen Linke und Migrant_innen.
Und diese Solidarität unter uns ist wichtig.
Solidarität heißt sich an die Seite der Angegriffenen zu stellen.
Darum demonstrieren wir hier heute ebenfalls, weil sich nächste Woche der Mord an Burak Bektas zum 5. Mal jährt.
Vor fünf Jahren – am 5.4.2012 – kam es zum Mordanschlag auf Burak Bektaş und seine Freunde. Wenige Stunden vor dem Mord fielen stadtbekannte Neonazis am Ort des Mordes bei einer antifaschistischen Veranstaltung auf. Der Mord an Burak ist bis heute nicht aufgeklärt, Angehörige und Unterstützer*innen fragen nach einem rassistischen Mordmotiv dieser Tat. Mit dem Mord an Luke Holland im September 2015 in Neukölln beklagen wir ein weiteres Todesopfer rechter Gewalt. In beiden Fällen wird seitens der Ermittlungsbehörden ein rechtes Tatmotiv konsequent ignoriert: Rechte Ideologie, Rassismus, Neonazi und Nazi-Ideologie werden verharmlost, verschwiegen. Völkisches Denken, Rassismus, Antisemitismus und Antimuslimischer Rassismus werden nicht als Bestandteile faschistischer Rechter Ideologie kontexualisiert. Uns als Burak Ini fällt auf, dass der Mord an Burak auch in weiten Teilen der Linken nicht konsequent mitgedacht wird, wenn es um Nazigewalt hier im Stadtteil geht. Als Burak Bektas vor 5 Jahren hier in Neukölln ermordet wurde, konnte man auf der ersten Soli-Demo die von Freunden von Burak organisiert wurde, die weißen Antirassistinnen an 2 Händen abzählen. Die Beerdigung mit 2000 Leuten war mehr oder weniger eine interne Veranstaltung aus der türkischen Community.
Nazis greifen jedoch Linke, Migrant_innen und andere von ihnen auf Grund von Sozialchauvinismus und Rassismus markierte Personen an.
Die Frage drängt sich auf: Welche Konsequenzen ziehen wir – die antirassistische und antifaschistische Bewegung – aus dem NSU-Komplex? Warum werden manche Opfergruppen in der Linken nur am Rande mitgedacht?
(Noch einen Schritt zurück:)
Wer fühlt sich wovon mit gemeint? Wer solidarisiert sich wo mit wem?
Wie weit reicht unsere Solidarität?Und auch wenn man sich nicht mitgemeint fühlt? Was ist,wenn es eingebildete und tatsächliche Unterschiede zu den Opfern von Naziangriffen gibt?
– Ist es weil die linke Szene so eng, auf sich bezogen ist und deshalb nur eine starke Reaktion zeigt, wenn die eigenen Leute betroffen sind?
– Eine andere Möglichkeit: Ist die Szene so weiß, so Mittelklasse, so bildungsorientiert, dass sie mit den Opfern rassistischer, und sozialchauvinistischer Gewalt deshalb schon wenig zu tun hat?
– Und wenn dem so ist, wie weit sind dann auch Linke anfällig für die Medieninszenierungen, die rassistische Gewalt tabuisieren, unkenntlich machen, nicht sehen wollen. Bis hin zur Täter Opfer-Verkehrung, die bewirkt, dass die Täter immer wieder im Umfeld der Opfer vermuten (siehe NSU); Die Wirkung von Rassismus innerhalb der Gesellschaft und die soziale Spaltung haben System. Der NSU-Komplex hat diese Wirkungsweisen sehr deutlich gezeigt. Und sie wirken auch innerhalb der Linken. Der faschistische Terror greift, weil Staat und Nazis Hand in Hand gehen: Es wird gedeckt,vertuscht, verharmlost, es wird gewähren gelassen. Auch aktuell wieder ein Beispiel für diese unkritische Wechselbeziehung zwischen herrschenden Medien und Linken ist der Umgang mit einem Mord an Mohammed Abo Hassan, einem Geflüchteten aus Syrien in der Buschkrugallee im Februar diesen Jahres. Die Medien suggerieren über Andeutungen zum Ort des Mordes, dass dieser Mord in einem migrantischen Milieu oder auch einem Drogenmilieu stattgefunden habe. Aus der Linken gibt es bisher keine öffentlich wahrnehmbaren Reaktionen: weder Flugblätter, noch Demos, alleine Schweigen.
Dass die Behörden auch bei erwiesener Tatausführung durch einen Nazi nicht in Richtung eines rechten Tatmotivs ermitteln zeigt nicht zuletzt der Mord an Luke Holland im September 2015 ebenfalls hier in Neukölln. Luke Holland wurde von einem bekennenden Nazi ermordet, der eine Wohnung voller Nazi Devotionalien, Waffen und Sprengstoff hat. Der Sprengstoff taucht nicht mal in der Anklageschrift auf. Im Prozess wurden weder die Verbindungen des Nazis, sein Umfeld, die Herkunft der Waffen und des Sprengstoff, noch untersucht,ob er eingebunden in Nazidiskussionen zu Terrorkonzepten wie Lone Wolf etc war. Ibrahim Arslan,Überlebender des Möllner Brandanschlags von 1992 hat gesagt: Wenn ein Migrant in Deutschland ermordet wird, muss man so lange davon ausgehen, dass es ein rassistischer Mord war, bis die Polizei uns das Gegenteil bewiesen hat! Das muss nicht nur für die Ermittlungsbehörden gelten. Das ist spätestens nach der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds auch für uns eine Konsequenz. Auch 2017 in Neukölln gilt: Wenn ein Migrant ermordet wird, erfolgt keine Aufklärung oder Suche in Richtung einer rassistischen Tat. Auch innerhalb der mehrheitlich weißen Linken wird nicht immer konsequent in diese Richtung gedacht, eine unbewiesene Vermutung in diese Richtung wird schnell als Verschwörungstheorie abgetan.
Es ist jedoch Grundlage einer linken Gesellschaftsvorstellung, mit Betroffenen von Nazigewalt solidarisch zu sein. Die Gründung der Burak Ini war auch eine Reaktion auf den NSU. Nicht nur wegen der Paralleleim Tatablauf, die da wären: Ein weißer Täter schießt wortlos auf Migranten. Der Mord an Burak ist eine mögliche NSU-Nachfolgetat. Die Gründung der Ini war auch der Versuch,Lehren aus fehlender Reaktion aus der antirassistischen und antifaschistischen Linken, dass Angehörige komplett alleine gelassen wurden zu ziehen: das darf niemals wieder so sein. Wir haben allen Grund misstrauisch zu sein gegenüber Ermittlungsbehörden, Staat, Politik; dem strukturellen und institutionell verankerten Rassismus. Unsere Konsequenzen sind: Nicht wegsehen! Wachsamkeit gegenüber rassistischen und sozialen Spaltungsversuchen der Herrschenden. Und: Praktische Solidarität. Wir fordern Aufklärung im Fall des ermordeten Burak Bektas – für ein demokratisches und angstfreies Miteinander. Solidarität heisst für uns:Gemeinsam den antirassistischen und antifaschistischen Widerstand organisieren!
Wir freuen uns, dass wir zu diesem Anlass hier heute alle gemeinsam auf der Straße sind! Vielen Dank!