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Rede zu den Ermittlungen zum Mord an Burak Bektaş
Aufklärung
Sieben Jahre sind seit dem Tod von Burak und dem Mordanschlag auf seine Freunde vergangen – sieben Jahre ohne befriedigende Ermittlungen – sieben Jahre ohne Ergebnis! In den letzten Jahren haben wir als Initiative immer wieder gesagt, dass die Ermittlungen im Fall nicht engagiert und nicht mit ernsthaftem Interesse erfolgen.
Insbesondere ist nur unzureichend oder alibimäßig gegen Rechts ermittelt worden. Wir haben von unserer Seite immer wieder mögliche rechte Verbindungen zum Mord thematisiert und mögliche Ausgangspunkte für Ermittlungen gegen Rechts benannt.
– Der Mord an Burak geschah ein halbes Jahr nach der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds NSU. Nicht zuletzt wegen Ähnlichkeiten im Tathergang stand von Anfang an die Möglichkeit im Raum, dass es eine Nachfolge- oder Nachahmungstat gewesen sein könnte.
– Es gab Nazis, die am Abend vor dem Mord an Burak am Rande einer Antifa-Veranstaltung im Gemeinschaftshaus Gropiusstadt auffielen. Sie erhielten dort in der Nähe Platzverweise von der Polizei und waren im Süden Neuköllns weiter unterwegs.
– Am Abend vor dem Mord an Burak war das jährliche Baumblütenfest in Britz eröffnet worden. Das Baumblütenfest war in den Jahren davor immer wieder Ausgangspunkt von rassistischen Hetzjagden und anderen Vorfällen in Südneukölln gewesen – u.a. war bei einem gewaltsamen rassistischen Angriff auch schon Tilo Paulenz beteiligt.
– Burak wurde am 20. Todestag des Nazifunktionärs Gerhard Kaindl ermordet, der in einer Auseinandersetzung mit Antifaschisten in Kreuzberg umgekommen war. Zum 19. und 20. Todestag hatte es vermehrt Racheaufrufe aus dem Umfeld der NPD und anderer Nazis gegeben.
– Zwischen Februar und Juni 2012 wurde ein 8-seitiger Reichsbürger-Drohbrief auch in Neukölln verbreitet – darin wurde Schwarzen, Migrant*innen, Muslim*innen und Jüd*innen offen mit Mord gedroht.
– Nazis der NPD und von Kameradschaften gedachten mehrmals vor dem Neuköllner Krankenhaus Jürgen Rieger, einem führenden Nazikader, der dort 2009 an einem Herzinfarkt gestorben war. Das geschah in unmittelbarer Nähe des Tatorts des Mordes an Burak.
In den letzten Jahren stand Gedenken im Zentrum unserer Aktivitäten. Das ist und bleibt für uns weiterhin sehr wichtig. Seit dem letzten April aber haben wir uns als Initiative erneut die Aufklärung des Mordes als Schwerpunkt gesetzt. Wir haben uns intensiv mit den Ermittlungen der letzten 7 Jahre beschäftigt. Wir haben mit der Familie und den bisherigen Anwälten gemeinsam zwei weitere Nebenklage-Anwält*innen ins Team der geholt: Maren Burckardt und Lukas Theune. Ziel ist es, dass sie mit einem neuen Blick auf die Akte schauen und wir im Austausch mit ihnen und der Familie noch einmal grundlegend unsere Kritik an den Ermittlungen formulieren und eine Neuausrichtung der Ermittlungen einfordern können.
Oberflächliche, nicht engagierte Ermittlungen
Zwischen 2013 und 2018 haben Abgeordnete in Absprache mit der Burak-Initiative mehrere parlamentarische Anfragen gestellt, im Berliner Abgeordnetenhaus, aber auch im Bundestag.
2018 haben wir nach einer Übersicht der Zeugenvorladungen gefragt. Das Ergebnis war, dass die Ermittlungen der Polizei im wesentlich nach den ersten 3 Monaten nach dem Mord beendet wurden. Zwischen Herbst 2012 und Frühjahr 2014 gab es keinerlei Zeugenvorladungen mehr.
Nie haben mehr als die 10 Mitglieder der Mordkommission an den Ermittlungen teilgenommen. Schon 3 Monate nach dem Mord war die Ermittlung quasi zu einer Ein-Personen-Veranstaltung des noch heute zuständigen Kommissars Hübner geworden.
Anfang 2014 wollte der zuständige Staatsanwalt Horstmann die Ermittlungen im Fall Burak einstellen. Zum selben Zeitpunkt beauftragt die Familie den Anwalt Mehmet Daimagüler mit der Nebenklage. Wohl als Reaktion wird das Verfahren doch nicht eingestellt und der polizeiliche Staatsschutz erhält einen Ermittlungsauftrag. Im Frühjahr 2015 beginnt auch die Mordkommission wieder mit Zeugenvorladungen.
Es gibt viele Beispiele, wie oberflächlich die Ermittlungen verliefen: Am Tatort wurden keinerlei Projektile der Tat gefunden. Ein Autofahrer meldete sich am nächsten Abend selbst bei der Polizei. Nachdem er nach Hause gefahren war, hatte er ein Einschussloch an seinem Auto entdeckt, dass neben der Bushaltestelle/ dem Tatort abgestellt war. Mit dem Projektil aus diesem Auto und dem aus Buraks Oberkörper konnten dann die Untersuchungen zur Tatwaffe durchgeführt werden.
Von der BVG wurden Videoaufzeichnungen des Nachtbusses, der am Tatort vorbeifährt, angefragt. Erst 3 Wochen später stellte die Polizei fest, dass die BVG die falschen Bänder geliefert hatte. Zu diesem Zeitpunkt waren die richtigen schon nicht mehr verfügbar. Im Mai 2012 übergab Familie Bektaş der Polizei eine Liste von Häusern in der Nachbarschaft, in denen es private Kameras gibt. Obwohl die Polizei wusste, dass die schon gesicherten Aufzeichnungen aus der Nachbarschaft für die Tatzeit Lücken aufwiesen, nahm sie keine Sicherung der zusätzlichen Aufnahmen vor.
Es werden der Familie und den Anwält*innen Informationen vorenthalten
Aus den parlamentarischen Anfragen und den Akten ergeben sich Hinweise auf parallel geführte zusätzliche Akten, die den Anwält*innen der Familie vorenthalten werden: Der „intensive Informationsaustausch“ mit dem Staatsschutz, hat praktisch keine Spuren in der Ermittlungs-Akte hinterlassen. In einer Antwort auf eine Anfrage der Abgeordneten Canan Bayram wird eine Anfrage des ermittelnden Staatsschutzes beim Berliner Verfassungsschutz erwähnt. Diese Informationen fehlen in der Akte und gehören hinein. Wir haben zahlreiche Hinweise auf Ermittlungen, die in der Burak-Ermittlungsakte fehlen, obwohl sich aus öffentlichen Verlautbarungen ergibt, dass sie existieren müssen. Es gibt Hinweise auf mehrere Besprechungen beim Gemeinsamen Abwehrzentrum Rechts in Treptow, Ermittlungen bei der Auswerteeinheit des Landeskriminalamtes 1, Ermittlungen des Bundeskriminalamtes, sowie – als zentrale Parallelakte – die Untersuchungen beim polizeilichen Staatsschutz Berlin. Wir sind zuversichtlich, dass wir die Behörden zwingen können, zumindest diese zur Akte nehmen zu müssen.
Das Überführen dieser Parallelakten in die Akte Burak ist Voraussetzung für rechtsstaatliche Abläufe und die Möglichkeit der Kontrolle und Einwirkung der Nebenklage auf das Verfahren.
Operative Fallanalyse – Auswerteeinheit beim Landeskriminalamt Berlin
Auch innerhalb der Mordkommission sind über mehrere Jahre wichtige Ermittlungen nicht zur Akte genommen worden. Der ermittelnde Staatsanwalt Horstmann hat in einem Schreiben an die Nebenklageanwälte der Familie Bektaş darauf verwiesen, dass es solche Aktenteile gibt, die er selbst auch noch nicht kenne. Erst im Mai 2015 wurde ein zusätzlicher sechster Band der Akte hinzugefügt, der in großen Teilen Dokumente enthält, die bis dahin offensichtlich gezielt der Nebenklage vorenthalten worden waren.
Ein zentrales Streitthema zwischen der Nebenklage und der Staatsanwaltschaft war schon Anfang 2016 ein Auswertungsbericht der zentralen Auswerteeinheit beim Landeskriminalamt. In der öffentlichen Auseinandersetzung ist damals einiges durcheinander gegangen, unter anderem weil die Öffentlichkeit von den Ermittlungsbehörden belogen wurde.
Eine für operative Analysen zuständige Einheit hatte im Juni 2012 einen Auswertungsbericht über den Fall Burak erstellt und Handlungskonsequenzen vorgeschlagen. Diese wurden aber nicht bearbeitet. Zur Akte wurde dieser Bericht erst 2015 ergänzt und noch im Februar 2016 behauptete der Senat in seiner Antwort auf eine Parlamentarische Anfrage, diese Analyse habe auch erst 2015 stattgefunden.
Dieser Streit um Titel und Datum macht nur Sinn, weil es etwas zu vertuschen gibt. Denn diese zentrale Auswertung der ersten Ermittlungen mit einer großen Anzahl von Vorschlägen für Nachermittlungen, Hinweisen auf Widersprüchen in Zeugenaussagen wurde zweieinhalb Jahre lang nicht für solche Nachermittlungen genutzt. Als diese Nachermittlungen dann ab Mai 2015 durchgeführt wurden, war es natürlich viel zu spät. Zeug*innen wurden zu Vorgängen befragt, die drei Jahre zurück lagen. Die Existenz dieses Auswertungsberichts, der über 2 ½ Jahre nicht für Nachermittlungen genutzt wurde und der Nebenklage vorenthalten wurde, bestätigt unseren Zweifel am Willen der Polizei zu ermitteln.
Spuren, die auf Rolf Zielezinski als Täter deuten
Der Nazi Rolf Zielezinski, der Mörder von Luke Holland, taucht in der Akte Burak Bektaş schon im Dezember 2013, also anderthalb Jahre vor seinem Mord an Luke Holland auf. Drei Mal wurde die Spur Zielezinski an die Burak Mordkommission herangetragen: Im Dezember 2013 von einem Neuköllner, der Rolf Zielezinski die Tat zutraute, dessen illegalen Waffengebrauch beschrieb und einen Tatortzusammenhang herstellte. Nach dem Mord an Burak haben die neben Burak angeschossenen Jugendlichen sich für eine Gegenüberstellung zur Verfügung gestellt. Im Frühjahr 2016 haben sich ein weiteres Mal Zeugen gemeldet, die unter anderem die enge örtliche Anbindung von Zielezinski an die Gegend um den Tatort Krankenhaus Neukölln bezeugt haben. Polizei und Staatsanwaltschaft reagierten mit Abwehr. Mit den Jugendlichen wurde keine Gegenüberstellung durchgeführt. Die Staatsanwaltschaft schrieb der Burak-Nebenklage, dass es bei einem Revolver aus Zielezinskis Wohnung kriminaltechnisch ausgeschlossen sei, dass dieser die Tatwaffe ist. Monate später wurde dann doch ein Schmauchspurenabgleich mit diesem Revolver durchgeführt, und siehe da: die Schmauchspuren passten. Daraufhin hielten die Ermittlungsbehörden eine mögliche Verschmutzung des Revolvers durch vorhergehende Tests der Polizei für wahrscheinlich. Ein Anfangsverdacht gegen Rolf Zielezinski – Pustekuchen. Wir akzeptieren diese Abwehr eines Verdachts durch die Polizei nicht. Gegen Rolf Zielezinski muss ermittelt werden.
Die aktuellen Aktivitäten der Initiative
Wir bereiten aktuell mit dem, was wir zusammengetragen haben, eine weitere Kleine Anfrage beim Abgeordnetenhaus vor. Hier thematisieren wir auch die Widersprüche zwischen dem Inhalt der Akten und früheren parlamentarischen Anfragen. Die Anwälte der Nebenklage werden Anträge auf Beiziehung von Aktenteilen des gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechts, des Bundeskriminalamtes, der Operativen Auswerteeinheit des LKA 1 und des Staatsschutzes stellen.
In allen Fällen der letzten Jahre in Neukölln, in denen RassistInnen und Neonazis verdächtigt sind, ihre politische Gegner einzuschüchtern, Verbrechen, Attentate, Angriffe bis hin zu Morden verübt zu haben, gibt es eine Parallele: Den Unwillen der Behörden zu ermitteln. Wir wollen uns mit den Betroffenen dieser Angriffe noch enger zusammenschließen. Uns eint, dass uns das Vertrauen in die Ermittlungen bei der Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft fehlt. Die Anwälte der Burak-Nebenklage haben schon im Januar 2016 die Bundesanwaltschaft aufgefordert die Ermittlungen zu übernehmen. Zuletzt haben dies auch wieder Ferat Kocak und die vielen anderen Betroffenen in Neukölln getan. Aber wir müssen zusammen auch in Berlin Wege finden, die politisch Verantwortlichen zu zwingen ihre Verantwortung wahrzunehmen. Schauen Sie sich diese Ermittlungsbehörden genauer an. Warum ermitteln sie nicht?
Wir fordern die Einrichtung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu der Frage, was in Berlin-Neukölln seit Jahren die Aufklärung von rechten/rassistischen Morden, Anschlägen und Angriffen verhindert. Auch der Mord an Burak Bektaş muss zum Gegenstand dieser Untersuchung werden!