zum direkt Anhören:
zum Herunterladen: archive.org (mp3 | ogg)
Als erstes möchte ich der Familie Bektaş, Verwandten und Freunde von Burak die solidarischen Grüße von Gülüstan Ayaz (Avci), der Witwe von Ramazan Avci und die solidarischen Grüße der Initiative für die Aufklärung des Mordes an Süleyman Taşköprü übermitteln. Wie teilen Ihre Schmerzen und sind mit euch.
Süleyman Taşköprü ist in Hamburg-Altona/Bahrenfeld aufgewachsen, zur Schule gegangen und hat zuletzt mit seiner Familie in der Schützenstraße einen Lebensmittelladen betrieben. Am 27. Juni 2001 wurde er dort von Mitgliedern des NSU ermordet. Er ist das dritte der zehn NSU-Mordopfer.
Wie bei allen anderen NSU-Morde und wie bei einem Großteil aller in der BRD begangenen rassistischen Morde waren die Ermittlungen zum Mord an Süleyman Taşköprü nicht auf einen rassistischen Hintergrund gerichtet.
Wie in Nürnberg, Köln, München, Kassel, Dortmund, Rostock wurde stattdessen – auch in Hamburg – das Mordopfer und seine Familie durch rassistische Verdächtigungen, frei erfundene Vorwürfe und Lügengeschichten jahrelang diskreditiert. Die Hamburger Beamten, die überwiegend aus der Abteilung zu „Organisierter Kriminalität“ stammten, ermittelten ausschließlich im familiären und migrantischen Umfeld des Opfers. Ein rassistisches Tatmotiv wurde systematisch ausgeblendet. Diese Form der Ermittlung war auch für die Famile Taşköprü eine große Belastung. Der Bruder von Süleyman Taşköprü, Osman Taşköprü, sagt dazu: [zitat] „Wir wurden direkt am Tag des Tods meines Bruders auf dem Polizeipräsidium vernommen, auch später immer wieder. Manche Vernehmungen haben zehn Stunden gedauert. Das war für uns alle als Familie nicht leicht. Dein Bruder oder Sohn ist gestorben und du wirst als Verdächtiger oder Beschuldigter behandelt.“ (weser-kurier.de vom 14.01.2018)
Der Vater von Süleyman Taşköprü’, Ali Taşköprü, hatte gegenüber den Hamburger Ermittler mitgeteilt, dass er in der Schützenstraße zwei „deutsch aussehende Männer mit einer Tüte in der Hand“ gesehen hatte– diesem Hinweis wurde nicht nachgegangen. (…) (taz) Er wiederholte seine Beobachtung vor dem Oberlandesgericht München; dass er zwei Männer zwischen 25 und 30 Jahren gesehen habe, die gerade weggingen, als er am Laden ankam, Deutsche, keine Südländer. Ein Kriminalbeamter aus Hamburg, der ebenfalls in München vor Gericht aussagte, sagte, Ali Taşköprü habe keine genauere Beschreibung geben können: [zitat] “Es gab keine Möglichkeit, (…) Man hat dann gesagt, die Spur ist erledigt.” (Spiegel: vom 23.09.2013)
Auch die Fallanalyse eines bayerischen Profilers von 2006, die ein rassistisches Motiv nahelegte und damit eine frühzeitige Ergreifung des NSU-Kerntrios ermöglicht hätte, wurde innerhalb der bundesweiten Ermittlungsgruppe von Hamburger Ermittlern abgelehnt. Stattdessen bezogen sich die Ermittler auf rassistische Stereotype und gingen von organisierter Kriminalität als Hintergrund der Tat aus. Osman Taşköprü dazu: [zitat] „Auch bei meinem Bruder ging es darum, ob er Kontakte ins Rotlichtmilieu oder mit Drogenhandel zu tun hatte. Ein Beamter hat mir zum Beispiel gesagt: „Ihr Bruder ist ja auch ein schlimmer Finger gewesen.“ (https://www.weser-kurier.de)
Die Medien haben diese rassistischen Annahmen übernommen und weiterverbreitet. Das führte dazu, dass sich viele Nachbarn und Menschen aus diesem Viertel von der Familie abgewendet haben. Osman Taşköprü dazu: [zitat] „Einige Bekannte und Freunde haben sich von uns abgewandt und den Kontakt abgebrochen. Und immer wieder wurde man von Leuten angesprochen, die gesagt haben: „Wer auf so eine Art stirbt, wie dein Bruder, der muss ja irgendetwas gemacht haben. Das war das Belastende für die Familie. ich war drei Jahre lang komplett von der Rolle, mir war alles egal.“ (weser-kurier.de)
17 Jahre später die Hamburgische Bürgerschaft, kurz vor dem NSU Urteil, die Familie des NSU-Opfers in einer Resolution vom 18.06.18 um Verzeihung gebeten und [zitat] „das erlittene Leid, das sie durch die mit einem falschen Verdacht geführten Ermittlungen erfahren haben“ anerkannt und bedauert. Diese Resolution hat die Familie Taşköprü zu Kenntnis genommen, aber es hat sie nicht besonders beeindruckt, bis heute hat sich die Hamburger Polizei für die jahrelangen Diffamierungen der Familie Taşköprü nicht entschuldigt. Die Forderung der Familie Taşköprü nach einer würdigen und angemessenen Entschädigung blieb bisher aus. Die Rot-Grüne Regierung schweigt dazu..
Im Mai 2012 sprach der damalige Hamburger Innensenator Michael Neumann (SPD) von der Notwendigkeit einer „rückhaltlosen Aufklärung“ des Mordes an Süleyman Taşköprü. Hamburg ist das einzige Bundesland, in dem der NSU einen Mord verübt hat, das keinen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingerichtet hat. Die Rot-Grüne Regierung verweigert sich einer Auseinandersetzung und hat bis jetzt ihre Verantwortung für die Aufarbeitung an den Prozess in München abgeschoben. Der Hamburger Senat ist der Meinung, es gäbe nichts mehr zu ermitteln, das Thema sei durch.
Im Hamburger Innenausschuss wurde behauptet, Ermittlungen zu Verbindungen des NSU in die Hamburger Neonaziszene hätten keine stichhaltigen Hinweise ergeben. Auch das Landesamt für Verfassungsschutz gibt an, es hätte die Szene im Blick gehabt, jedoch keine Verbindungen zum NSU gefunden. V-Männer, also bezahlte Neonazis aus anderen Bundesländern berichteten jedoch über den Kontakt zu Hamburger Neonazis. Dass Hamburg als Tatortstadt zufällig ausgewählt wurde, ist mehr als unwahrscheinlich.
Hamburg hatte seit Ende der 70er Jahre eine große Bedeutung für die Organisierung der Neonazi-Szene. Im Hamburger Umland entstanden Konzepte für den bewaffneten Kampf und rechten Terror. In den 1980er Jahren haben Neonazis mehrere Menschen in Hamburg ermordet, u. a. Mehmet Kaymakçı und Ramazan Avcı, die 1985 auf offener Straße ermordet wurden. Die Aktivitäten prägten nicht nur das politische Selbstbewusstsein der Hamburger Neonazis. Ihr Wissen und ihre Erfahrungen wurden nach 1990 an die „Kameraden“ in den Neuen Bundesländern weitergegeben. In den 90er Jahren trafen sich Hamburger Neonazis und die späteren Mitglieder des NSU bei Demonstrationen, wo das spätere Netzwerk des NSU in Kontakt trat. Im Jahr 2002 bedankte sich das NSU-Kerntrio dafür durch Schreiben und Spenden, die auch an die in Hamburg ansässigen neonazistischen Organisationen und die Nordische Zeitung versendet wurden. Die Hamburger Polizei unternahm daraufhin keine Ermittlungen in Bezug auf diese Hinweise.
Warum wird sich in Hamburg nicht die Mühe gemacht, aufzuklären?
Warum wird in Hamburg ein Untersuchungsausschuss verweigert?
Um zu verstehen, warum die Perspektiven der Opfer und Betroffenen von rassistischen Gewalt- und Mordtaten kein Gehör finden, möchte ich ein Beispiel, das als „Lübecker Model“ bekannt ist, in Erinnerung rufen. Bei dem rassistischen Brandanschlag in der Nacht auf den 18. Januar 1996 in Lübeck wurde die perfide Strategie der Täter-Opfer-Umkehr angewandt, um die Spuren der Deutschen Täterschaft zu verwischen. Für die Ermittlungsstellen standen der Mechanismus der Täterentlastung im Vordergrund und nicht die Opfer. Trotz Hinweise der Angehörigen und Überlebenden in Richtung deutsche Täterschaft, ging es bei Ermittlungen vorrangig darum, das „Ansehen Deutschlands“ bzw. Lübecks zu schützen. Der gleiche Mechanismus der Täterentlastung, wurde auch im Zusammenhang der NSU-Morde angewandt. All das kennen wir auch aus den Bemühungen der Ermittlungsstellen und der deutschen Justiz im Fall des Oury Jalloh. Das bedeutet, zu vertuschen, zu verdrängen und zu vergessen, gut dass die Initiative Oury Jalloh gibt.. .
Aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernen, wie die „Aufklärung“ durch deutsche Behörden stattfindet, bedeutet für uns kein Vertrauen auf deutsche Instanzen zu schenken. Aus dem NSU-Komplex zu lernen, heißt vor allem die Perspektive der Opfer und Betroffenen von rassistischen Gewalt- und Mordtaten im Mittelpunkt zu stellen. Nach fünf Jahren Prozess in München möchte die Justiz mit den Verurteilungen der Angeklagten einen Schlussstrich ziehen. Der Prozess hat keine Aufklärung über die Hintergründe und Verflechtungen der NSU-Mordtaten mit bundesweiten Naziszenen und staatlichen Geheimdiensten gebracht. Kritische Fragen und wichtige Hinweise wurden unterbunden. Vor allem wurden die Perspektiven der Betroffenen, der Angehörigen und der Opfer, nicht wahrgenommen, sondern einfach ignoriert. Fragen, die die Familien der Mordopfer umtreiben, hat das Gericht systematisch blockiert. Das Bedürfnis der Hinterbliebenen nach Respekt für die ermordeten Opfer und einer würdigen Anerkennung des ihnen widerfahrenen Unrechts wurde mit dem Prozess nicht erfüllt. Dies haben die Familienangehörigen, die Söhne/Töchter, die Witwen der Ermordeten verbittert im Rahmen der Nebenklageplädoyers, als Resümee aus den vergangenen 5 Jahren gezogen. Auch Osman Taşköprü äußerte sich: „Eine Gesellschaft sollte sich nicht mit diesem Nichtwissen abfinden. Die Nazimörder waren es nicht alleine. Wir hoffen, dass mit dem Urteil kein Schlussstrich gesetzt wird. In den vergangenen Jahren konnten wir schon erleben, dass das Interesse am Verfahren sank. Mitgefühl für die Betroffenen, kam sowieso kaum auf. Die Taten scheinen so weit weg zu sein, als wäre das alles Vergangenheit. Doch hier wurde gemordet, hier haben Nazis meinen Bruder umgebracht. Die Polizei und die Medien haben Lügen über ihn verbreitet. Der damalige Innensenator Hamburgs, Michael Neumann, sicherte uns Aufklärung zu. Wo ist sie?“
Wir können die Familienangehörigen solidarisch begleiten und dazu beitragen, ihre Schmerzen zu lindern, in dem wir ihre Wünsche und Forderungen in den Mittelpunkt unserer Anliegen stellen. Osman Taşkörpü wünscht sich einen Aufschrei. Dafür müssen wir sorgen, zusammen mit den Angehörigen und all den gesellschaftlichen Kräften, die der Meinung sind, dass Faschismus und Rassismus keine Meinung, sondern ein Verbrechen mit mörderischen Konsequenzen bedeutet. Heute, da täglich offensichtlicher wird, wie tief die Neonaziszene mit staatlichen Institutionen verstrickt ist, dürfen wir nicht zulassen, dass rassistische Morde unaufgeklärt bleiben. Für die Opfer des NSU, Oury J., Ahmed Achmad, für Burak B. und all die weiteren …. gilt: Einen Schlussstrich werden wir nicht zulassen/ darf es nicht geben.
Initiative für die Aufklärung des Mordes an Süleyman Taşköprü