auf der Gedenkveranstaltung an der Mordstelle vor der ehem. Bar “del Rex” in Berlin Neukölln von Fanny-Michaela Reisin:
Sehr geehrte Damen und Herren! liebe Mitstreitende!
Mein Name ist Fanny-Michaela Reisin.
Ich bin praktizierende Jüdin, lebe, in Jerusalem geboren, seit meiner Jugend in Berlin mit einer doppelten, der israelischen und deutschen Staatsbürgerschaft.
Die Organisatoren der Gedenkveranstaltung baten mich gerade eben, ad hoc eine Ansprache in meiner Muttersprache Hebräisch zu halten.
Ich habe den Prozess gegen den des Mordes an Luke Holland angeklagten Rolf Z., seines Zeichens bekennender Neuköllner Alt- und Neo-Nazi, von Anfang bis Ende beobachtet. Deshalb kann ich den an mich herangetragenen Wunsch gut nachvollziehen, die Sprechenden heute mögen ihre Muttersprache gebrauchen.
Ein triftiger Grund für den Neuköllner Mörder Rolf Z. war die Tatsache, dass Luke, auf einer Neuköllner und also deutschen Straße via Smartphone seinem engsten Freund in Manchester nicht auf Deutsch, sondern in ihrer beider Muttersprache, Englisch, Glückwünsche zum Geburtstag zugerufen hatte.
Wir wissen, dass der Mörder Rolf Z. bei Streifzügen durch Neuköllner Straßen seiner ehemaligen Eckkneipen immer wieder aggressiv seinem Ärger darüber Luft machte, dass die Namenschilder seiner früheren Saufstätten “fremdsprachig” seien. Vor allem aber auch die Wirte und Gäste. Sein altes gut deutsches Neukölln sei nicht mehr. Vollständig überfremdet. Nicht zuletzt auch in der internationalen Bar “del Rex”, die er bisweilen notgedrungen aufgesucht und in der Mordnacht, kurz bevor Luke mit Freunden unterschiedlicher Nationalität eintrafen, wieder verlassen hatte, wusste er sich mehrmals unflätig darüber zu beklagen, dass nicht deutsch, sondern spanisch, englisch – kurzum “fremdländisch” gesprochen werde. All dies sagten Zeugen aus. Bar-Gäste in jener Nacht, aber auch etliche langjährige Freunde des Mörders, deren Mitteilungen im übrigen eher einsilbig waren.
Ich kann also den Wunsch gut verstehen, hier und heute mit Gedenkbeiträgen in den jeweils eigenen Muttersprachen demonstrativ zu zeigen, dass Sprachvielfalt zur bunten Menschheit, zum bunten Europa, zum inklusiven Deutschland und vor allem zum gerne bunt und inklusiv gefeierten Berlin gehört.
Ich teile das Anliegen aus ganzem Herzen. Dennoch will ich auf Deutsch zum Gedenken beitragen, um von möglichst vielen verstanden zu werden.
Ich beschränke mich darauf, Sie/Euch alle mit SHALOM! zu begrüßen.
Zu den unerträglichen Einzelheiten des Prozesses gehörte, dass der Mörder an allen Prozesstagen mit im Gerichtssaal saß. Dumpf und gleichgültig vor sich hinblickend zog er es vor, über den gesamten Verhandlungszeitraum vom 14. März bis 11. Juli 2016 an allen 21 Verhandlungstagen zu schweigen. Das war ihm vom Gericht auch gestattet worden.
Für unsereins war die Gegenwart des Mörders höchst bedrückend.
Warum?
Drei Jahre zuvor war ebenso wie der mit seinen 31 Jahren erst am Beginn seines erwachsenen Lebens stehende Luke Holland, der 22-jährige Burak Bektaş, d. h. nach genau dem gleichen Schema auf der Rudower Straße vor dem Neuköllner Krankenhaus erschossen worden. Zwei seiner Freunde wurden angeschossen und überlebten schwer verletzt.
Es ist bekannt, dass Rolf Z. schon 2013 in der Akte zur Ermordung von Burak Bektaş als Tatverdächtiger genannt ist. Die Staatsanwaltschaft sah davon ab, gegen ihn zu ermitteln.
Der Mord an Burak Bektaş ist bis heute ungesühnt.
Bedrückend, ja fast gespenstisch, wirkte auf uns die Tatsache, dass alle noch verfügbaren Indizien, die herangezogen hätten werden können und müssen(!), um den auch des Mordes von Burak Bektaş verdächtigen Rolf Z. doch noch zu überführen oder eben frei zu sprechen, sage und schreibe Ende 2015 vernichtet worden waren. Und das, obwohl zu dem Zeitpunkt der Strafprozess gegen den, wegen des Mordes an Luke Holland angezeigten, in Untersuchungshaft einsitzenden Rolf Z. sicher für das erste Halbjahr 2016 anberaumt war. Der formale Grund für die Indizienentsorgung: Verjährung.
Ich selber kann es nicht fassen, will aber auch nicht glauben, dass dies der Grund war. Ich bin daher der Überzeugung, dass jene Instanzen, die mehr wussten, es wie Rolf Z. vorzogen, alles mit Schweigen zu überziehen, was einen ruchlosen Mord an zwei jungen Menschen, die ireversible Zerstörung zweier Familienleben, vor allem aber auch den ungeheuerlichen Skandal nachlässiger Ermittlungen durch Berliner Polizei- und Staatsanwaltsbehörden zu Tage hätte fördern können. Ich glaube es einfach nicht, dass es nach dem Mord an Luke Holland keine Indizien gab, die einem Vergleich zwischen beiden Fällen gerechtfertigt hätten. Die Staatsanwaltschaft im Fall Luke Holland, wies das Anliegen, eine Nebenklage auch in Sachen Burak Bektaş zu verhandeln, ab.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitstreitende,
Angeregt durch den schmerzlichen Beitrag von Luke’s Freund und Geschäftspartner soeben will ich kurz von meinen Begegnungen mit den, um ihren einzigen Sohn, um ihr einziges Kind(!) trauernden Eltern von Luke, erzählen. Rita und Philip Holland waren zu allen Verhandlungsterminen eigens aus Manchester angereist. Vielleicht in der Hoffnung, das schier Unfassbare zu verstehen? Ich weiß es nicht genau. Zweifellos waren Rita und Phil entschlossen, auf eine vollständige Aufklärung des Mordes an ihrem geliebten Sohn zu dringen. Nicht zuletzt – das weiß ich positiv -, um uns hier im Kampf gegen Rassismus und Neo-Nazismus beizustehen.
Ich war während der Verhandlungspausen oft mit ihnen zusammen. Sie zeigten bunte und schwarzweiße Fotos aus dem Leben von und mit Luke.
Ein gut aussehender, strahlender junger Anwalt, “Oxford-Absolvent”, wie Rita hin und wieder sagte, ein “sunnyboy”- das sage ich – im wohlverstandenen, besten Sinne des Wortes, der glücklich schien und zuversichtlich. Entschlossen sein Leben eigenständig in die Hand zu nehmen, entschied er sich, sein Unternehmen in der weltoffenen Stadt Berlin zu gründen. Hier investierte er. Hier wollte er mit anderen Zukunft gestalten. Und hier wurde er meuchlings ermordet.
Zwei junge Menschen verloren ihr Leben, kaum hatten sie es selbstbestimmt in die Hand genommen. Burak Bektaş und Luke Holland. Der zweite Mord hätte möglicherweise – viele Anzeichen deuten darauf hin – verhindert werden können, wenn im Falle Burak Bektaş konsequent ermittelt worden wäre.
Wir schreiben nun das Jahr 2020.
Gerade eben, wurden wieder rechtsradikale und neonazistische Umtriebe von Polizeibeamten aufgedeckt. Nester des Hasses, der Menschenverachtung und der Herrenmentalität gegenüber “undeutschen” Juden, Moslems, Schwarze, Schwache. In Polizeibehörden mitten in Berlin, Nordrhein-Westfahlen, Sachsen-Anhalt und, und, und. Gerade eben schwappen die Wellen des Entsetzens in Politik und Medien wieder hoch. Rufe nach einer wissenschaftlichen Studie zu Rassismus und Rechtsextremismus bei der bundesdeutschen Polizei werden laut. Innenminister Seehofer hält dagegen.
Ich bin durchaus dafür, eine wissenschaftliche Studie zu Zuständen und Haltungen in Sachen Rassismus und Rechtsradikalismus in den Landes- und Bundesbehörden der Polizei durchzuführen. Auch teile ich die Auffassung, dass dies doch nur im Interesse auch der Polizei sein müsste, wenn dort alles “koscher” ist.
Ich will Ihre Aufmerksamkeit aber darauf lenken, dass nicht nur die Polizei, sondern durchaus auch die Justiz, namentlich die Staatsanwaltschaften, die Behörden der Straf- oder der Verwaltungsjustiz vergleichbaren Untersuchungen unterzogen werden müssten. Wir beobachten seit Jahren – und gerade im Bereich rassistisch motivierter Mord- und Gewaltüberfälle, Rechtspopulismus und Rechtspropaganda ein ungutes Zusammenstehen von Justiz- und Polizeibehörden.
Es ist Zeit, dass die Zivilgesellschaft auch hier endlich reinen Wein einfordert und reinen Tisch macht.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
PS. Hier ein Link zu einem sehr berührenden und gleichsam äußerst bedrückenden Pressegespräch am 11. Januar 2016 mit den Eltern von Luke Holland und Burak Bektaş sowie ihren Anwälten im Haus der Bundespressekonferenz, dem ich beiwohnte und das ich unbedingt verbreiten möchte: https://www.youtube.com/watch?v=tLgndu5Yabk