(Einige Fotos unserer Kundgebung findet ihr hier pm_cheung)
Liebe Familie Bektaş, liebe Angehörige, liebe Melek, lieber Ahmet, liebe Melike, lieber Fatih, liebe Freunde und Freundinnen.
Heute wäre Burak 32 Jahre alt geworden. Aber er wurde am 5. April 2012, wenige Schritte von hier, erschossen. Sie waren fünf junge Männer, die zufällig an dieser Stelle standen, als unvermittelt auf sie geschossen und Burak tödlich verletzt wurde. Zwei der Freunde überlebten lebensgefährlich verletzt. – Diese Tat ist so unfassbar niederträchtig und hinterhältig und wird ihre Wirkung auf die Familie und alle Freunde und Freundinnen niemals verlieren.
Wir von der Initiative für die Aufklärung des Mordes haben Burak nie kennengelernt. Burak wird beschrieben als ein fröhlicher, lustiger Mensch, der seine Familie sehr liebte und dies auch tagtäglich zeigte. Seine Zukunft wurde ausgelöscht, die seiner Freunde durch dieses schreckliche Erlebnis für immer geprägt.
Kein Tag vergeht, an dem wir nicht darüber nachdenken, warum diese Tat den jungen Männern geschehen ist. Es gibt keine Erklärungen. Und kein Tag vergeht, an dem wir nicht überlegen, wie diese Tat noch aufgeklärt werden könnte. Dazu gibt es keine Neuigkeiten.
Wir treffen uns immer an Buraks Geburtstag an dieser Stelle, um mit euch zusammen zu erinnern und um anzuklagen: Findet seinen Mörder!
Der Tathergang erinnert an die Morde des NSU. Der Mord an Burak geschah ein halbes Jahr nach der Selbstenttarnung des NSU im November 2011. Die Idee einer Nachahmungstat ist naheliegend. Und solange das Gegenteil nicht bewiesen ist, gehen wir davon aus, dass Rassismus das Motiv ist.
Dieses Jahr jährt sich der Todestag von Burak zum 10. Mal.
Seit 10 Jahren stehen Menschen an diesem Ort und erinnern an ein Verbrechen, das noch immer nicht aufgeklärt wurde. 10 Jahre Kampf der Familie und Freund*innen, für Aufklärung und gegen das Vergessen. 10 Jahre keine Aufklärung, keine Gewissheit, keine Sicherheit.
Nein, der Mörder von Burak wurde nie gefasst. Vielleicht läuft er hier im Bezirk immer noch herum. Vielleicht steht er im Supermarkt mit uns an der Kasse. Vielleicht verdreckt und beschädigt er regelmäßig unseren Gedenkort. Vielleicht war es aber auch – wie viele vermuten – Rolf Zielezinski, der sitzt noch eine Weile im Knast. Er hat 2015 den Briten Luke Holland in der Ringbahnstraße erschossen. Er kannte Luke Holland nicht, ist ihm nie begegnet und hat ihn einfach erschossen, auf der Straße, ohne Wortwechsel. Er handelte ähnlich wie der Mörder von Burak. Er ist dem Alter wie der Mörder von Burak beschrieben wird. Ja – anders angezogen, vielleicht mit Bart oder ohne Haare im Gesicht. Was spielen diese veränderbaren Kennzeichen für eine Rolle? Für die untätige Staatsanwaltschaft waren das Ausschlusskriterien. Wie dumm!
Und die Polizei sieht keinen Zusammenhang zwischen den beiden Morden. Wir fragen: Wie kann sie das behaupten? Buraks Mutter Melek Bektaş hat schon oft gefragt, wie diese Einschätzung zustande kommt. Wenn die Ermittler sagen, dass Zielezinski nicht auf Burak und seine Freunde geschossen hat, woher wissen sie das? Welche Beweise haben sie dafür? Haben sie auch nur einen Finger krumm gemacht, um ihre Behauptung zu belegen? Sie behaupten bei der Suche nach dem Mörder jeden Stein umgedreht zu haben. Sie hätten das Steine-bewegen den Straßenbauern und Maurern überlassen und stattdessen sorgfältig ermitteln sollen. Mit jedem Tag der vergeht, wird die Chance geringer, den Täter zu finden.
Die Familie und wir alle haben das Recht zu wissen, wer Burak ermordet hat. Wer läuft durch Neukölln und schießt auf junge Menschen? Welches andere Motiv sollte denkbar sein als Rassismus und Nationalismus?
Seit über einem Jahrzehnt sind wir auch Zeug*innen einer rechten Anschlagserie mit Bedrohungen, Brandanschlägen und Angriffen in diesem Bezirk. Neukölln gehört seit vielen Jahren zu den Bezirken mit einer hohen Zahl an rechten und rassistischen Angriffen. Die meisten dieser Taten werden nicht aufgeklärt.
Vom Neukölln-Komplex sprechen wir im Zusammenhang mit den vielen Angriffen auf Aktivist*innen, die sich gegen Rechtspopulismus, Nazismus und Rassismus aussprechen, Veranstaltungen organisieren und die dem rechten Mob „ein anderes Neukölln“ entgegenstellen. Das ist inzwischen ein Teil des Alltags.
Der andere Alltag in Neukölln besteht aus Angriffen aus rassistischer Motivation. Der größte Anteil der Angriffe aus dem letzten Jahr ist hier zuzurechnen. Auch diese Anschläge werden gewöhnlich nicht aufgeklärt.
Antifaschistische Recherchen weisen immer wieder auf das gleiche Täterspektrum hin, das mit diesen Anschlägen, diesem Terror zu tun hat. Aufgeklärt wird die Anschlagserie trotzdem nicht. Warum? LKA, Verfassungsschutz, Staatsanwaltschaft sind selbst in den Neukölln-Komplex verstrickt. Es fehlt der Wille zur Aufklärung. Diesen Unwillen zur vollständigen Aufklärung kennen wir auch von anderen rechten Anschlägen wie in München, Halle oder Hanau.
Im Kampf um Aufklärung gibt es heute aber auch etwas positiv zu berichten: die jahrelange Forderung nach der Einsetzung eines Untersuchungsausschuss wird endlich erfüllt! Der parlamentarische Untersuchungsausschuss soll wie es heißt „die rechtsextreme Anschlagserie in Neukölln, ihre Hintergründe und mögliche Fehler bei den Ermittlungen aufarbeiten“. Wir sind gespannt!
Auch wenn wir die Einrichtung des PUA begrüßen, sind unsere Erwartungen verhalten. Es gibt vielerlei Erfahrungen mit Untersuchungsausschüssen im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex. Wir konnten im NSU-Prozess und in den NSU-Untersuchungsausschüssen beobachten, wie der Umgang mit den Angehörigen der NSU-Opfer und Betroffenen der Anschläge in der Praxis aussieht.
Und nicht umsonst haben Nebenkläger*innen das Urteil im NSU- Prozess als „Mahnmal des Versagens des Rechtsstaats“ bezeichnet. Wenn also schon Gerichtsprozesse mit Urteilen enden, die fast alle wichtigen Fragen offen lassen, sind unseren Hoffnungen auf gute Ergebnisse im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss gedämpft. Aber: Diesmal sollen wir beteiligt werden. Neuköllner Initiativen und Betroffene der Anschläge sollen eingebunden werden. Ihre Fragen sollen Berücksichtigung finden. Ein Signal für einen neuen Umgang mit den Initiativen und Betroffenen zeigt sich in einem ersten Treffen mit Vertreter*innen der Fraktionen SPD, Bündnis 90/ die Grünen und DIE LINKE .
Eine wichtige Forderung im Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuss ist die dauerhafte Einbindung der Initiativen und den Betroffenen und Angehörigen in den Prozess. Wichtig ist, dass wir den Willen nach Aufklärung weiter verfolgen und nicht nachgeben. Wichtig ist, kritische Fragen zu stellen und unser Wissen einzubringen. Wichtig ist, dass die Zusammenhänge der rechten Terrorserie in Neukölln betrachtet werden müssen, ohne zeitliche Einengung. Wichtig ist, antirassistisches und antifaschistisches Expertenwissen hinzuziehen um die rechten Verbindungen und überregionalen Vernetzungen zu thematisieren. Wichtig ist, die Verstrickung der Berliner Behörden in den Neukölln-Komplex zu untersuchen.
Und wichtig ist die Aufnahme nicht aufgeklärter Straftaten in den Auftrag, wie der Mord an Burak vor nun 10 Jahren! Wir werden unsere Fragen stellen und das erneute Ausbleiben von Antworten anprangern.
Ein weiterer guter Ausblick ist die Fertigstellung des Gedenkortes zum 10. Todestag von Burak, am 5. April 2022. Dank vieler Unterstützer*innen konnten wir bereits am 6. Todestag von Burak hier eine Gedenktafel und die zentrale Skulptur der Künstlerin Zeynep Delibalta aufstellen. Im letzten Schritt soll nun die Grünfläche gestaltet und Bänke aufgestellt werden.
Die Skulptur trägt den Titel „Algorithmus für Burak und ähnliche Fälle“ und erinnert damit an den Mord an Burak und alle die anderen nicht aufgeklärten rechten Taten. Der Gedenkort soll an die Geschichte von Burak Bektaş erinnern und sie im Gedächtnis der Stadt verankern. Er soll darüber hinaus auf die weiteren unaufgeklärten Morde an Menschen mit Migrationsgeschichte, auf den strukturellen Rassismus verweisen, den Menschen mit Migrationsgeschichte und People of Color in unserer Gesellschaft erleben. Gleichsam wird der Gedenkort auch die Geschichte von Solidarität und eines gemeinsamen Kampfes für Aufklärung und Gerechtigkeit in Berlin-Neukölln erzählen.
Wir haben einiges geschafft und wir werden es auch schaffen, diesen Ort noch schöner zu machen und zu einem Ort des lebendigen Gedenkens werden zu lassen. Dieser Platz soll ein Ort werden, an dem Menschen sich gerne aufhalten und erinnern wollen.
Der Gedenkort und jede unserer Versammlungen, Mahnwachen, Kundgebungen und Demonstrationen sind Zeichen dafür, dass die Rechnung der Täter*innen und die der Ermittlungsbehörden nicht aufgehen wird. Wir werden nicht nachlassen mit unseren Forderungen nach Aufklärung.
Nichts wird vergessen und kein Gras wird über ihre Taten wachsen.
Am 5.4. jährt sich der Tag der Ermordung von Burak zum 10. Mal. Wir rufen dazu auf, dass an diesem Tag bundesweit Menschen Burak auf ihre Weise gedenken und Bilder davon mit uns teilen. Wir werden am Sonntag, den 10.4. wieder hier am Gedenkort für eine Kundgebung zusammen kommen. Dazu laden wir euch jetzt schon ein.
Wir danken Euch, dass ihr immer wieder an diesem Ort mit uns zusammenkommt und die Erinnerung an den Mord und die vielen anderen Taten aufrechterhaltet.