Einladung zur nächsten PUA-Sitzung am 31. Mai 2024 und zur Veranstaltung „Die Aufarbeitung des Neukölln-Komplexes – eine Zwischenbilanz“ am 4. Juni 2024 im HAU 2.
Am 31. Mai 2024 wird sich der Parlamentarische Untersuchungsausschuss mit dem Mord an Luke Holland beschäftigen. Befragt werden der Staatsanwalt von Hagen, der Anwalt von Lukes Eltern Onur Özata und der Polizist Rakel.
Luke Holland wurde am 20. September 2015 in Neukölln ermordet. Da es viele Ähnlichkeiten zwischen dem Mord an Luke und dem Mord an Burak Bektaş gab, sagte Luke Hollands Mutter Rita Holland: „Wäre beim Mord an Burak ordentlich ermittelt worden, hätte der Mord an Luke Holland möglicherweise verhindert werden können und Luke wäre noch am Leben.“
Brisant ist, dass der Name des Mörders von Luke Holland, Rolf Zielezinski, auch schon 2013 in der Akte zum Mord an Burak Bektaş auftaucht. Der Nazi Rolf Zielezinski war einem Hinweisgeber als Waffenbesitzer mit einem engen Bezug zum Tatort des Mordes an Burak Bektaş bekannt. Doch diesem Hinweis wurde nicht sorgfältig nachgegangen. Das hat der damalige Kommissar Hübner zugegeben, weil es ihm nachgewiesen wurde. „Das war nicht ausreichend ausermittelt“, bestätigte die Polizistin Marianne Emmert, die die Ermittlungen von Hübner 2020 übernommen hat, während ihrer Befragung in der letzten Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses.
Die Familien Holland und Bektaş gehen davon aus, dass ihre Söhne von demselben Täter Rolf Zielezinski ermordet wurden. Wir fordern, dass im Rahmen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses alles unternommen wird, um diese These auszuschließen oder zu belegen.
Rolf Zielezinski wurde für den Mord an Luke Holland verurteilt, allerdings ohne dass der Richter ein Motiv feststellte. Im Prozess kamen jedoch zahlreiche Belege für das rechte und rassistische Weltbild Zielezinskis zur Sprache. Der Mord wurde im Prozess entpolitisiert. War der Richter nicht fähig oder nicht willens ein rechtes Motiv zu erkennen?
Nun wollen wir einen Blick zurück auf die letzte Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses werfen. In der letzten Sitzung wurde die Polizistin Marianne Emmert befragt. An ihrer Seite hatte sie eine Anwältin, die sie mehrmals unterbrach und auf für bestimmte Themengebiete nicht vorliegende Aussagegenehmigungen hinwies.
Frau Emmert war zum Zeitpunkt des Mordes an Burak 2. Tatortbeamtin und Sachbearbeiterin im LKA 116 in der 6. Mordkommission. Am Morgen nach dem Mord hat sie zwei Zeugenvernehmungen und eine Hausermittlung durchgeführt und wurde in den Folgejahren punktuell zu den Ermittlungen hinzugezogen. 2020 wechselte der bis dahin die Mordermittlungen leitende Kommissar Hübner zum Staatsschutz. Mittlerweile ist er aus der Presse bekannt, weil er fast 400 Fälle rechtsextremer Straftaten unbearbeitet hat liegen lassen. Aktuell läuft deswegen ein Strafverfahren gegen ihn wegen Strafvereitelung.
Marianne Emmert wurde beauftragt, die Ermittlungen im Fall Burak zu übernehmen. Bis 2022 wurde Emmert ganz für diese Aufgabe freigestellt. Anfang 2022 ermittelte dann nochmal die gesamte Mordkommission zum Mordfall Burak.
Frau Emmert hat sich sehr zurückhaltend über ihren Vorgänger geäußert, aber was wir verstanden haben ist: Hübner hat schlechte Arbeit geleistet. Er hat unvollständig ermittelt, ist wichtigen Spuren nicht ausreichend nachgegangen, hat die Akte schlecht geführt und offenbar einen Wust an Dokumenten hinterlassen, in dem der Fortgang der Ermittlungen schwer nachzuvollziehen war und in dem nicht alle Beweismittel auffindbar waren.
Sinngemäß hat Kommissarin Emmert konkret Folgendes gesagt:
Nachdem sie die Ermittlungen übernommen hat, war es ihr wichtig, den Ermittlungsstand zu erfassen. Neben der Akte, die auch die Anwält*innen von Familie Bektaş einsehen konnten, gab es viele weitere Ablageorte, sowohl digital als auch physisch, was in diesem Ausmaß nicht üblich ist. So waren bspw. manche Berichte, die immer in die Akte gehören, im Original in einer internen Ablage abgelegt. Manche Beweismittel waren nicht mehr im Original auffindbar. Das betrifft etwa eine Videosequenz, die von einer Zeug*in aufgenommen worden war. In den Akten ist belegt, dass es diese Aufnahme gab, aber die Aufnahme ist nicht mehr auffindbar. Laut Emmerts eigener Aussage ist es Standard, dass alles, was zum Fall gehört, in die Akte kommt. Für die Arbeit der Anwält*innen der Familie Bektaş ist diese Akte die wichtigste Informationsquelle. Ist die Akte nicht vollständig, wird ihre Arbeit sozusagen torpediert.
Gefehlt habe in der Akte auch ein Bericht, der 2014 beim Staatschutz von der „AG Fiat“ verfasst worden war. Diese AG sollte Ermittlungsansätze mit Bezug auf „politisch motivierte Kriminalität rechts“ prüfen. Kommissarin Emmert habe dafür gesorgt, dass dieser Bericht Bestandteil der Akte ist als „Sonderbände Ermittlungskomplex IV“ und nicht mehr als geheim eingestuft ist. Wie hierbei durch Zufall herauskam, liegt dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss dieser Aktenteil jedoch überhaupt nicht vor. Wir fordern, dass dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss sofort alle fehlenden Aktenteile zur Verfügung gestellt werden. Wir akzeptieren keine weiteren Versuche der Vertuschung.
Jedenfalls hat die Einarbeitung in den Fall unter diesen Voraussetzungen viel Zeit beansprucht. Mit der Aktenführung Hübners war Emmert Zitat „nicht so zufrieden“, denn es habe sich nicht alles erschlossen und nicht alles sei nachvollziehbar gewesen. Ihr sei klar geworden, dass da noch viel aufgearbeitet werden müsse, dass da „Erfordernisse bestehen“ und, dass da noch mehr zu tun sei als bei Übergabe gedacht.
Erklärungsbedürftig blieb der Sachverhalt, dass zwischen Hübner und Emmert keine Übergabe stattgefunden hat. Sie habe nur einmal Kontakt aufgenommen wegen einer einzelnen Frage. Normalerweise sei aber eine intensive Übergabe die Regel. Dass Hübner in der Zwischenzeit in einer anderen Dienststelle tätig war, scheint hier als Begründung nicht ausreichend überzeugend, denn es könnte ja auch über Dienststellen hinweg eine Einarbeitung organisiert werden. Doch auch Emmert habe nicht versucht auf eine solche Einarbeitung durch Hübner hinzuwirken. War allen Beteiligten klar, dass Hübner schlecht arbeitet und keine Hilfe sein würde?
Was war der Hintergrund für diese ungewöhnliche Übergabe? Hübner hatte auch zuvor schon die Kommission gewechselt und den Fall Burak mitgenommen. Weshalb war es diesmal anders?
Jedenfalls hat sich Frau Emmert wohl weitgehend alleine ein Bild der Lage gemacht und nach Durchsicht aller Unterlagen einen neuen Ermittlungsplan erstellt.
Denn in den bisherigen Ermittlungen hatte sie Lücken festgestellt, die sie sich auf Grundlage der Akte nicht erklären konnte. Sie betont, dass sie nicht beurteilen könne, ob Ermittlungen tatsächlich nicht durchgeführt oder lediglich nicht dokumentiert wurden.
Dies betrifft zum Beispiel die Befragung der Anwohnenden in Tatortnähe. Hier waren 20 Personen nicht angetroffen und offenbar nicht befragt worden, sodass sie bspw. in diesen 20 Fällen Nachermittlungen anordnete.
Nachermittelt wurde auch zu einer Infoveranstaltung über Nazistrukturen in Süd-Neukölln am Bat Yam Platz in Gropiusstadt am 4.4.2012, am Abend vor dem Mord an Burak, bei der Nazis versuchten zu stören. Diese wurden auf eine mögliche Tatbeteiligung überprüft.
Weiterhin gab es in den Ermittlungen 2 Listen mit zu überprüfenden Personen aus dem rechtsextremen Spektrum mit Tatortbezug. Diese waren in der Akte zusammengeführt und um neun Personen gekürzt worden. Diese fehlenden neun Personen hat Emmert überprüfen lassen.
Auch im Fall Rolf Zielezinski, dem Mörder von Luke Holland, ließ sie nachermitteln. Sie sagt deutlich: „Das war nicht ausreichend ausermittelt“. Entsprechende Hinweise lagen vor. Sie haben deswegen Personen im Umfeld von Zielezinski befragt, um sich soweit noch möglich ein Bild von Zielezinskis Lebensumständen im Jahr der Tat 2012 zu machen. Das Umfeld Zielezinskis war für die Polizei zugänglich. Wie wären diese Ermittlungen verlaufen, wenn sie 10 Jahre früher durchgeführt worden wären? Frau Emmert sagt auf die Frage, ob sie Zielezinski aufgrund der Nachermittlungen als Täter ausschließen konnte, sie könne „nichts ausschließen“. Aber sie könne keinen Anfangsverdacht begründen. Auch aus allen weiteren Nachermittlungen hätten sich keine neuen Ermittlungsansätze ergeben.
In Bezug auf die Nachermittlungen bestätigt sie auch, dass man nach 10 Jahren nicht mehr damit rechnen kann, detaillierte Aussagen zu erhalten und Ermittlungsergebnisse zu erzielen. Einiges ist in diesem zeitlichen Abstand nicht mehr erfolgversprechend, z.B. die Frage, wo sich jemand zur Tatzeit befand. Nach so einem langen Zeitraum sei jede Überprüfung „schwierig“.
Fehlende Ermittlungen sah sie in zwei Fällen: Es gab drei Zeugen, die am Tatort waren, die bis heute unbekannt sind. Und es gab eine Aussage zu einem möglichen Doppelgänger. Ausführlicher äußerte sie sich im Rahmen des öffentlichen Teils der Sitzung hierzu jedoch nicht.
So viel zur Kritik an den Ermittlungen unter Hübner, die aus der Aussage Emmerts deutlich wurde.
Doch auch unter Emmert wurde an problematischen Grundannahmen festgehalten:
- Die Grundannahme eines engen Tatortbezugs des Täters. Wir wissen u.a. durch den NSU-Komplex, dass Neonazi-Netzwerke mitnichten lokal begrenzt sind. Wenn kein Täter mit engem Tatortbezug zu ermitteln ist, wieso wird dann an dieser Grundannahme festgehalten?
- Zwei Monate vor der Tat wurden rassistische Drohbriefe von Reichsbürgern versendet. Darin wurde angedroht u.a. Migrant*innen, so sie Deutschland nicht freiwillig verlassen, zu erschießen. Das Reichsbürgerspektrum wurde aber weder von Hübner noch von Emmert überprüft.
- Aus dem NSU wurde nichts gelernt. Danach gefragt, ob in der Polizeiarbeit bestimmte Verfahrensweisen oder Standards eingehalten werden müssten, wenn ein Tathergang dem des NSU ähnele, antwortet Emmert, sie hätte keine festgelegten Standards zur Anwendung gebracht, ihr fielen da keine ein. Scheinbar benötigt die Polizei ein rechtsextremes Bekennerschreiben oder wenigstens ein hingesprühtes Hakenkreuz, um die Überprüfung eines rechten oder rassistischen Motivs als angeraten zu betrachten.
Wer so denkt, kommt dann auch zu anderen Schlussfolgerungen als wir bei der Frage warum nicht aufgeklärt wurde. Und die hören sich dann etwa so an: „Es gab kaum einzelne identifizierbare Merkmale, keine Äußerung, die eine Motivlage nahelegt, nur eine oberflächliche Beschreibung des Täters und so gut wie keine objektiven Spuren“. Es scheine „schier unmöglich einen Anfangsverdacht zu begründen“.
Wir fragen weiter: War das Motiv Rassismus?
Wir laden Euch ein zur nächsten Sitzung am 31. Mai um 9 Uhr, vorher findet ab 8:30 eine Kundgebung vor dem Abgeordnetenhaus, Niederkirchnerstr. 5, 10117 Berlin statt.
++++
Außerdem möchten wir zur Veranstaltung am Dienstag den 4. Juni 2024 im HAU 2 (Hallesches Ufer 34, 10963 Berlin) um 19 Uhr einladen:
„Die Aufarbeitung des Neukölln-Komplexes – eine Zwischenbilanz“
mit Helga Seyb, Ferat Koçak, Christiane Schott, Claudia von Gélieu und Karin Wüst.
Im Rahmen der Aktionswoche „Europa den Vielen“ von Die Vielen e.V. vom 3. bis 9. Juni