– Gemeinsam gedenken, gemeinsam kämpfen!
Redebeitrag der Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş als Audio / Link bei der Kundgebung am Rathaus Neukölln mit weit über 1000 Teilnehmer*innen:
Wir gedenken
Ferhat Unvar,
Hamza Kurtović,
Said Nesar Hashemi,
Vili Viorel Păun,
Mercedes Kierpacz,
Kaloyan Velkov,
Fatih Saraçoğlu,
Sedat Gürbüz und
Gökhan Gültekin.
Wir bedanken uns für die Einladung, als Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş heute hier auf der Kundgebung “Ein Jahr nach Hanau: Gedenken heißt kämpfen!” zu sprechen.
Burak Bektaş wäre letzten Sonntag 31 Jahre alt geworden. Doch er konnte seinen Geburtstag nicht erleben und keine Glückwünsche seiner Liebsten empfangen. Denn Burak wurde in der Nacht vom 4. auf den 5. April 2012 in Berlin-Neukölln erschossen. Gemeinsam mit Familie Bektaş kämpfen wir seitdem für die Aufklärung des Mordes und ein angemessenes Gedenken.
Immer wieder stellen wir die Frage: War das Motiv Rassismus?
Bis heute gibt es in Neukölln eine große Zahl von rassistischen, rechten und antisemitischen Angriffen, Brandstiftungen und Bedrohungen. Erst vor kurzem wurde auch wieder ein Farbangriff auf den Gedenkort für Burak verübt. Seit Jahren werden diese Taten nicht aufgeklärt.
Der Neukölln-Komplex reiht sich wie auch der rassistische Anschlag in Hanau am 19. Februar letzten Jahres ein in eine lange Kontinuität von rechtem Terror und rassistischen und antisemitischen Anschlägen in Deutschland.
Wir wissen nicht wo anfangen und wo aufhören mit den Namen der Ermordeten und den Orten der Anschläge, weil es so viele sind. Wen nennen und wen nicht in einer kurzen Rede?
Dass rechte Taten so häufig nicht oder unzureichend aufgeklärt werden ist kein Zufall. Das Problem ist struktureller und institutioneller Rassismus und eine immer noch ausstehende Entnazifizierung der Behörden.
Wie oft finden bspw. Täter-Opfer-Umkehrungen statt und den Ermordeten wird mittels rassistischer Zuschreibungen eine Schuld angehängt und das migrantische Umfeld der Ermordeten wird durch Ermittlungen und Verdächtigungen zermürbt!
Täter-Opfer-Umkehr passiert auch in Hanau:
In Hanau hat die Polizei Überlebende des Anschlags und Menschen aus dem Umfeld der Ermordeten aufgesucht und mit ihnen „Gefährder-Ansprachen“ gemacht. Sie wurden gewarnt, den Vater des Täters, der nur wenige Minuten vom Tatort in Hanau wohnt, in Ruhe zu lassen, sonst müssten sie mit Konsequenzen rechnen. Nicht informiert hat die Polizei sie darüber, dass der Vater des Täters offenbar dessen zutiefst rassistisches Weltbild teilt und eine tickende Zeitbombe ist: er fordert die Tatwaffe seines Sohnes zurück, möchte das Pamphlet mit den rassistischen Vernichtungsphantasien seines Sohnes wieder ins Internet stellen und stellte sogar mehrere Strafanzeigen und Beschwerden, u.a. weil er das Gedenken an die Ermordeten als „Volksverhetzung“ ansieht und droht mit weiteren Opfern. Niemand wurde darüber informiert, niemandem Schutz angeboten. Der Vater wurde aber in den polizeilichen Ermittlungen in kürzester Zeit vom Verdächtigen zum Zeugen eingestuft.
Viele Fragen sind noch offen:
Wieso wurden zahlreiche Notrufe in der Tatnacht nicht angenommen?
Wieso war der Notausgang von einem der Tatorte versperrt?
Wieso werden darüber erst unwillig nach Anzeigen der Angehörigen, Presseberichterstattung und öffentlichem Druck erste Ermittlungen angestellt?
Wieso durfte der Täter überhaupt legal Waffen besitzen?
Und wieso wurde immer noch nicht für eine angemessene soziale Absicherung der Überlebenden und der Angehörigen der Ermordeten gesorgt?
Nach den NSU-Morden haben wir gelernt: Es reicht das Schweigen und die Ignoranz der Mehrheit, während die Minderheit bedroht und angegriffen wird. Diese Strategie darf nicht weiter aufgehen!
Als Burak Ini verstehen wir uns als eine Plattform, in der sowohl Familie und Freundeskreis von Burak, Aktivist*innen aus verschiedenen Kollektiven und Zusammenhängen in Neukölln, Leute aus der Nachbarschaft, Personen aus der der Opferberatung und der Recherche zu Neonazis – gemeinsam an einen Tisch kommen, um miteinander zu sprechen, sich zuzuhören und aktiv zu werden.
Die Initiative 19. Februar schafft in Hanau einen Raum des Vertrauens, einen Raum gegen das Vergessen, gegen das Verschweigen und gegen die Angst, einen Raum für Solidarität, direkte Unterstützung für Betroffene und der Forderungen nach Aufklärung und politischen Konsequenzen. Wir haben unglaublich großen Respekt für diese Arbeit und für die Angehörigen und Überlebenden, die die Kraft finden, ihre Stimmen zu erheben.
Serpil Unvar, die Mutter des im Hanau ermordeten Ferhat Unvar, sagte: „Unsere Kinder dürfen nicht umsonst gestorben sein. Ihr Tod muss das Ende aller rassistischen Angriffe sein, er muss der Anfang sein einer Gesellschaft, in der alle Antirassismus von klein auf lernen, einer Gesellschaft, in der alle gleiche Rechte haben und ohne Angst leben können.“
Melek Bektaş, Buraks Mutter, sagte in ihrer Rede auf dem NSU-Tribunal in Köln 2017:
„Ich habe hier gesehen, wie viele Opfer es gibt. Wie viele gibt es noch von ihnen, von denen wir noch nichts wissen? Wenn wir schweigen, wird das immer wieder passieren. Jetzt ist die Zeit unseres Schweigens vorbei, wir werden nicht mehr schweigen. … Dieses System des Rassismus soll nicht so weitergehen. Ich habe hier gesehen, wenn wir Hand in Hand gehen, dann werden wir stärker.“
In diesem Sinne wollen wir mit euch allen gemeinsam Hand in Hand gehen, stärker werden und auf allen möglichen Ebenen aktiv sein: von Hanau bis Neukölln, auf Demos und Gedenkkundgebungen, sowie in allen anderen sozialen Räumen, Schulen, Museen, Kunst und Kultur und überall unsere Inhalte hinein tragen, um rassistische Morde und rechte Netzwerke aufzuklären, strukturellen Rassismus zu überwinden und darauf hinzuwirken, dass der rassistische, antisemitische und misogyne Terror in diesem Land endet.
Zum Schluss wollen wir noch einmal die Namen der in Hanau Ermordeten verlesen.
Wir gedenken
Ferhat Unvar,
Hamza Kurtović,
Said Nesar Hashemi,
Vili Viorel Păun,
Mercedes Kierpacz,
Kaloyan Velkov,
Fatih Saraçoğlu,
Sedat Gürbüz
Gökhan Gültekin.
Vielen Dank.