Rede von “Rudow empört sich” zu Buraks 11. Jahrestag seiner Ermordung

Liebe Familie Bektas, liebe Freundinnen, liebe Freunde,

seit der Ermordung von Burak sind nun schon 11 Jahre vergangen. 11 Jahre des Schmerzes und der Trauer für die Angehörigen, aber auch 11 Jahre der Wut. Denn die Zweifel an den Ermittlungsbehörden, ob diese bei ihrer Arbeit wirklich alles unternommen haben, um den Täter aufzuspüren und zur Rechenschaft zu ziehen sind groß. Diese Zweifel sind mehr als berechtigt, wenn wir uns anschauen, was es alles an Skandalen rund um den Neukölln-Komplex gibt.

Die Liste der Skandale fängt nämlich eben genau damit an, dass entgegen der Beteuerungen durch den Innensenat zur Aufklärung des Neukölln-Komplexes viel zu wenig Personal eingesetzt wurde. Es wurde also nicht wirklich alles unternommen, um den Nazi-Terror aufzuklären.

Aufklärungserfolge werden eher unabsichtlich erzielt: als ein Antifaschist in Neukölln per Videokamera observiert wurde, spazierte der Neonazi Sebastian T. plötzlich ins Bild und wurde beim Versprühen seine Haßbotschaften gefilmt.

Die Naziattacken auf das Anton-Schmaus-Haus sind immer noch nicht aufgeklärt. Auch die zahllosen Brandanschläge im Rahmen des sog. Neukölln-Komplexes sind weiterhin nicht aufgeklärt. Das Versagen der Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden gibt Anlass zu der bösen Vermutung, dass in diesen Apparaten die Ermittlungstätigkeiten hintertrieben wurden und werden. Warum musste ein Staatsanwalt von der Bearbeitung des Neukölln-Komplexes abgezogen werden? Was hatte ein LKA-Beamter gemeinsam mit dem Hauptverdächtigen Sebastian T. In einer Rudower Kneipe zu suchen? Warum weiß der Verfassungsschutz scheinbar alles rund um den Brandanschlag auf das Auto des Linkenpolitikers Ferat Kocak am 1.2.2018, aber offizell nichts über die Tatnacht?

Dem unablässigen Drängen der von Nazi-Anschlägen Betroffenen, der Arbeit von Investigativjournalisten und dem Einsatz der Zivilgesellschaft ist es zu verdanken, dass im letzten Jahr ein Parlamentarischer Untersuchungs-ausschuss die Arbeit mit dem Ziel aufgenommen hat, Licht in das Dunkel rund um den Neukölln-Komplex zu bringen: angefangen mit den Anschlägen auf das Anton-Schmaus-Haus über die Ermordung Buraks hinweg bis hin zu der Brandanschlagsserie beginnend in 2016 Doch die erfolgreiche Arbeit eines Ausschusses ist abhängig davon, wie die Zuarbeit des Behörden erfolgt. Diese ist bisher alles andere als zufriedenstellend und man fühlt sich an die NSU-Untersuchungsausschüsse erinnert. Die mangelnde Bereitstellung von Akten wird u.a. mit dem laufenden Gerichtsprozess gegen die Haupttatverdächtigen im Neukölln-Komplex begründet.

Ich bin Dreifachbetroffener im sogenannten Neukölln-Komplex. Vor dem Amtsgericht Tiergarten wurde von der Staatsanwaltschaft nur in Bezug auf meinen dritten Anschlag am 1.2.2018 Klage erhoben, wie auch in Bezug auf den Brandanschlag auf das Auto von Ferat Kocak in der gleichen Nacht. Außen vor blieben also die beiden anderen mich betreffenden Anschläge wie auch die zahlreichen anderen Naziattacken und Brandanschläge im Rahmen des Neukölln-Komplexes. Die beiden Hauptverdächtigen wurden im Januar in den betreffenden Anklagepunkten freigesprochen. Meine Erwartung an den Gerichtsprozess war von Anfang an nicht groß. Schon zu Beginn des Prozesses lag die Vermutung nahe, dass die Richterin keinen Bock auf diesen Prozess hatte und ein schnelles, schlankes Verfahren wollte. Nicht zuletzt deshalb wurde offensichtlich Ferat Kocak als Nebenkläger zunächst abgewiesen. Wie aus anderen, ähnlich gelagerten Verfahren bekannt, wurde auch in diesem Prozess die Frage eines erweiterten Täterkreises nicht weiter thematisiert. Rechte Strukturen im Hintergrund der Tatverdächtigen sind also gemäß der Richterin ohne Relevanz. Auch der Forderung der Nebenklage, den Verfassungsschutz zur Offenlegung seiner Akten in Bezug auf den Neukölln-Komplex aufzufordern wurde nicht nachgekommen. Dann wäre man ja nicht mal in fünf Jahren mit dem Prozess fertig – so die Richterin.

Skandalöse Geschichten wo man hinschaut. Nicht mal die Justiz zeigt engagierten Aufklärungswillen. Wem kann man glauben, wem kann man vertrauen? Diese Fragen werden immer lauter und drängender, so lange niemand zur Rechenschaft gezogen wurde!

Danke!

Heinz Ostermann / Betroffener im Neukölln-Komplex für „Rudow empört sich“