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30. Jahrestag des Mordes an Nguyễn Văn Tú

[übernommen von berlin.niemandistvergessen]

24. April 2022, 15 Uhr Brodowiner Ring 8, Berlin-Marzahn

Es ist der 24. April 1992, ein Freitag Nachmittag in Berlin Marzahn. Nguyễn Văn Tú ist bei Freundinnen und Freunden im Brodowiner Ring, die hier an kleinen Ständen Sachen verkaufen. Gegen 17:30 Uhr treten drei angetrunkene Neonazis auf den Plan, die die Stände unvermittelt umtreten und im anliegenden Supermarkt verschwinden, um weiteren Alkohol zu kaufen.

Nachdem die Angreifer den Laden wieder verlassen, spricht Văn Tú die drei an, worauf hin es zu einer Handgreiflichkeit kommt. Mike Lillge, der Hauptangreifer und bekennender DVU-Anhänger, verletzt Nguyễn Văn Tú in der Auseinandersetzung mit einem Messerstich schwer. Freunde fahren Văn Tú in ein nahgelegendes Krankenhaus, wo er gegen 19:30 Uhr an seinen Verletzungen verstirbt.

Sein Tod jährt sich dieses Jahr zum 30. Mal.
Wir wollen am 24. April an Nguyễn Văn Tú gedenken und ein Zeichen gegen rassistische Gewalt setzen.

Wir laden euch ein, am 24. April 2022, um 15 Uhr am Brodowiner Ring 8, 12679 Berlin daran teilzunehmen.
(Anreise via Tram 18 / M6 – Brodowiner Ring)

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Hintergrund zu Nguyễn Văn Tú

Redebeitrag von Trotz alledem

Liebe Familie Bektas,
Lieber Freunde von Burak, die mit ihm gemeinsam Ziel des feigen Anschlags waren…
Liebe solidarische Menschen… wir grüßen euch alle herzlich.
Wir alle wollen, das der feige, brutale Mord, der uns Burak Bektas in seinen jungen Jahren entrissen hat, restlos aufgeklärt wird. Der Mörder und seine Hintermänner müssen endlich gefunden werden. Dafür kämpfen seine Familie, Freund:innen und die Initiative zur Aufklärung des Mordes unermüdlich. Und auch in Zukunft werden wir hier sein, bis unsere Forderungen erfüllt werden. Alle die wir heute hier sind, aber auch eine Vielzahl solidarischer Menschen die an anderen Aktionen teilnehmen, fordern AUFKLÄRUNG!
Jedoch gibt es derezit eine faktische Macht, die sich dagegen stellt, die die Aufklärung mit allen erdenklichen Mittel zu verhindern versucht!
Natürlich drängt siich in dieser Situation folgende Frage auf: Sind für den Mord an Burak Bektas rassistisch- faschistische Kräfte verantwortlich, die von staatlichen Stellen untertstüzt, beziehungsweise gedeckt wurden und auch noch immer werden. Wie auch bei den Nazi- Morden des NSU und anderen rassistischen Morden? Sind auch hier Staat und Nazis Hand in Hand?
Wir glauben nicht, dass die in die Untersuchungen involvierten staatlichen Institution inkompetent oder einfach unfähig sind.
Es ist vielmehr so, dass bei Angriffen und Morden an Migrant:innen die staatlichen stellen mit institutionell- rassistsichen Herangehensweisen und Vorurteilen reagieren. Das sehen und erleben wir im Umgang mit migrantischen Opfern und ihren Angehörigen immer wieder. Deswegen werden Täter:innen zuerst in der nächsten Umgebung der Opfer, bei Angehörigen und Verwandten vermutet und gesucht. Sie werden zu Verdächtigen und Angeklagten gemacht. Ihr Leben wird auf den Kopf gestellt.
Kein Opfer und keine Angehörigen werden wir alleine lassen!
Wir werden niemaden und nichts vergessen und vergessen lassen!
Der Mord an Burak muss restlos aufgeklärt werden.
Wir haben Burak nicht vergessen, wir werden ihn auch nicht vergessen lassen.
Wir werden trotz allen Widerständen kämpfen bis der feige Mord an Burak restlos aufgeklärt wird.
Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen! Kein Schlussstrich!

Trotz alledem!

Sibel und Hasan Leyla, Eltern von Can Leyla, einer der 9 Opfer des rassistischen Anschlags im Olympia Einkaufszentrum (OEZ) München – Grussbotschaft am 10.04.2022 in Berlin

Hallo, ich bin froh, heute hier zu sein und Sie alle hier zu sehen.
Ich heiße Sibel Leyla. Ich komme aus München und am 22. Juli 2016 wurde mein Sohn Can mit 14 Jahren am Olympia Einkaufszentrum ermordet. Er ist einer der 9 Opfer. Wir hatten in München lange damit zu kämpfen, dass die Tat als das benannt wird, was es ist: ein Anschlag eines Rechtsextremisten. Inzwischen ist es endlich offiziell und wir kämpfen weiter gegen Ungerechtigkeiten, gegen das Vergessen und die weiter bestehende Bedrohung unseres Lebens hier in Deutschland durch rechte Gewalt. Der Kampf ist mühsam und es ist schwer gehört zu werden, weil man uns sehr oft anschweigt, anlügt und ignoriert.
Burak Bektaş wurde vor 10 Jahren ebenfalls ermordet und ich sehe, dass seine Familie den gleichen Kampf führt wie wir in München. Es ist traurig, aber auch sicher, dass wir niemals aufhören werden, Hand in Hand gegen diejenigen zu kämpfen, die uns dieses Schicksal auferlegt haben. Wir sind entschlossen, gegen das Schweigen anzugehen und unserem Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit nachzugehen. Damit werden wir niemals aufhören.
Beim OEZ Anschlag in München am 22. Juli 2016 und im Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) im Stadtbezirk Moosach wurden neun Menschen ermordet und fünf weitere verletzt. Ihre Namen sind:  
• Armela S. und Sabina S. 14 J  
• Sevda D. 45 J.
• Janos Roberto R. 15 J.  
• Chousein bzw. Hüseyin D. 17 J.
• Dijamant „Dimo“ Z. 20 J.
• Giuliano-Josef K. 19 J
• 5-jährige Selçuk K. 15 J.
• und Can L. 14 J., 
 

Grußbotschaft von Überlebenden des rassistischen und antisemitischen Anschlags in Halle vom 9. Oktober 2019 und der Soligruppe TEKİEZ

Liebe Familie Bektaş, liebe Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş, liebe Freund*innen

10 Jahre sind vergangen. 10 Jahre sind vergangen ohne Burak. Ohne Gerechtigkeit, ohne Aufklärung, ohne Frieden. Was können wir noch sagen, was ihr nicht schon gesagt habt? Was können wir noch fühlen, was ihr nicht schon fühlt? Die Kraft, die wir Euch heute wünschen, ist die Kraft, die Ihr Euch immer für uns gewünscht habt. Die Worte, die wir heute mit Euch teilen, sind Worte, die Ihr immer mit uns geteilt habt:

Kein Schweigen mehr. Wir werden sprechen. Kein Aufgeben. Wir werden kämpfen.

Wir sind hier – mit unserer Stimme Wir sind hier – mit unserer Wut Wir sind hier – im Widerstand

Wir sind hier – für Burak.
Für Jana. Für Kevin. Und für all die anderen, die wir durch rechte Gewalt und sinnlosen Hass verloren haben.

Danke für diese Worte und diese Kraft. Danke, dass Ihr uns beisteht. Heute und jeden Tag stehen wir mit Euch. In Trauer, in Wut, im Widerstand.

In Solidarität und Stärke,
Überlebende des rassistischen und antisemitischen Anschlags in Halle vom 9. Oktober 2019 und die Soligruppe TEKİEZ

Redebeitrag von Melek Bektaş

Liebe Freundinnen und Freunde,
mein Name ist Melek Bektaş.
Ich bin die Mutter von Burak.
Nach 10 Jahren will ich hier ein paar Worte mehr zu euch sprechen.
Ich danke euch, dass ihr all die Jahre hierher gekommen seid, dass ihr immer an unserer Seite gestanden habt.
Auch wenn wir manches Mal dachten, dass zu unserer Demo niemand mehr kommen wird, seid ihr gekommen. Wir haben nicht damit gerechnet, dass ihr das so lange aushaltet. Dafür danken wir Euch. Ohne euch alle, würde es diesen Ort nicht geben. Wäre das Erinnern vielleicht nur noch eine Familienangelegenheit.

Ich halte etwas aus, von dem ich mir kurz nach Buraks Tod nicht vorstellen konnte, dass es möglich ist, das auszuhalten.
Aber ich habe inzwischen andere Menschen getroffen, die noch länger aushalten.
Die nicht mehr sprechen oder 20 Jahre nicht gesprochen haben. Das macht das Leiden nicht leichter aber ich sehe, dass Menschen das überlebt haben.
Wir werden oft gefragt: Was wünscht ihr euch? Und jetzt nach 10 Jahren, was soll ich mir wünschen? Ich will meinen Sohn zurück? Ich weiß, das geht nicht.

Was ich mir seit 10 Jahren wünsche ist: Der Mord soll aufgeklärt werden. Wie kann das sein, dass es nicht gelingt? Wie können alle noch helfen, dass es passiert? Die Polizei wird es nicht tun. Wer dann? Wir würden Alle unterstützen, die noch Ideen haben.
Ich wünsche mir, dass ich verstehe, was passiert ist. Ich wünsche mir, dass mein Sohn nicht einfach ermordet werden kann und niemand findet den Mörder.
Der Mörder wird hier noch sein. Aber er wird nicht sprechen. Zwingen können wir ihn nicht. Hoffentlich bricht er doch irgendwann zusammen.
Er sieht ja, dass es nicht unbemerkt geblieben ist und dass wir alle hier ihn dafür anklagen.
Ja, und wir klagen die Behörden an.
Es ist nicht unsere Art, hohe Gäste ständig zu empfangen. Aber natürlich haben wir ein offenes Haus für Alle, die helfen wollen. Viele waren da und haben vieles versprochen: Politiker und Polizeibeamte.
Wenig davon ist passiert.

Ich möchte, dass nie wieder eine andere Mutter, eine andere Familie so eine schreckliche Erfahrung machen muss.
Ein deutsches Sprichwort sagt: Die Zeit heilt alle Wunden. Das ist eine Lüge, die Zeit heilt nichts. Sie vergeht aber es bleibt der Schmerz. Dieser Schmerz ist vielleicht für jede Person anders und jede Person kann andere Wege finden, damit zu leben. Es ist ein Damit-leben. Keine Heilung.

Es gab Künstler und Künstlerinnen, die gearbeitet haben, um die Opfer der vielen Morde sichtbar zu machen – Opfern und den Familien ein Gesicht und eine Stimme zu geben.
Das hilft auch ohne große Reden. Und es hilft, dass der Mord an Burak nicht vergessen wird.

Wir haben uns als Familie gewünscht, dass es einen Ort zum Gedenkens gibt für Burak, meinen Sohn, der uns soviel Freude in seinem kurzen Leben geschenkt hat.
Daraus ist nun dieser Ort geworden, an dem sich Menschen erinnern. An Burak aber nicht nur an Burak, sondern auch an ähnliche Fälle. So ist der Name des Kunstwerkes, den die Künstlerin Zeynep Delibalta der Statue gegeben hat.

Wir freuen uns, wenn er genutzt wird. Wir freuen uns, wenn er als Gedenkort respektiert wird. Er zeigt, wie viele Menschen uns unterstützt haben. Die Initiative für die Aufklärung des Mordes hat uns gefragt, schon vor vielen Jahren: Was wünscht ihr Euch? Und Ihr alle habt geholfen, unseren Wunsch zu erfüllen.

Dafür danken wir Euch.

Redebeitrag der Burak-Ini

Liebe Melek, lieber Ahmet, liebe Familie Bektaş, liebe Freundinnen und Freunde von Burak,
liebe solidarische Menschen,

wir sind heute hier zusammengekommen, weil Burak, euer geliebter Sohn, Bruder und Freund, vor 10 Jahren gewaltsam aus dem Leben gerissen wurde.

Wir gehen von einem rassistischen Anschlag auf Burak und seine Freunde aus. Seit 10 Jahren stehen wir an der Seite der Angehörigen, begleiten die Ermittlungen und fordern Aufklärung.

Der Mord hat viele Leben verändert. Der Schmerz und die Trauer halten an. Die Zeit überwindet die Wunden nicht. “Acıya zaman aşımı yok.” Neben all dem Leid, dass den Familien und Freund:innen zugefügt wurde, sind auch viele weitere von Rassismus betroffenen Menschen verunsichert worden.

Zur Beerdigung von Burak Bektaş sind über 2000 Menschen gekommen. Freunde und Angehörige haben bereits kurz nach dem Mord eine Demonstration organisiert und Aufklärung gefordert. Von wenigen Ausnahmen abgesehen beteiligten sich weder bei der Beerdigung noch bei der Demonstration sich als antirassistisch und antifaschistisch verstehende Linke.

Als wir von dem Mord gehört und gelesen haben, war uns schnell klar, dass wir etwas tun müssen. Denn ein halbes Jahr nach der Selbstenttarnung des NSU waren wir alarmiert: War das eine NSU-Nachahmungstat? War das ein rassistischer Mord?
Im NSU-Komplex war der institutionelle Rassismus der Ermittlungsbehörden – wieder mal – offensichtlich geworden. Obwohl zahlreiche Angehörige und Überlebende von Anfang an auf ein mögliches rassistisches Tatmotiv hingewiesen haben, wurde in diese Richtung so gut wie gar nicht ermittelt. Ihnen wurde kein Glauben geschenkt. Stattdessen wurden sie selbst verdächtigt. Sie wurden von Opfern zu Tätern gemacht. Das migrantisch-situierte Wissen wurde von Staat, Politik, Ermittlungsbehörden, Polizei und Medien größtenteils nicht beachtet. Und nicht nur das, verantwortliche Stellen haben vertuscht, gedeckt und Aufklärung aktiv verhindert.

Das alles trug zum Ausbleiben der praktischen Solidarität von Zivilgesellschaft, politischen Gruppen und antirassistischen Bewegungen bei. Auch die antirassistische Bewegung, auch viele von uns, haben diese Wirkungsweisen des strukturellen Rassismus nicht durchschaut.

Das sollte uns nicht wieder passieren. Wir hielten es also für das Mindeste, die Familie nicht alleinzulassen und sie in ihren Forderungen und Interessen zu unterstützen. Was im NSU-Komplex zu Tage trat, sollte sich nicht wiederholen. Und so gründete sich die Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş und fordert öffentlich Aufklärung, Solidarität und gezielte Ermittlungen in Richtung eines rassistischen Tatmotivs.

Wir, die Burak-Initiative, sind Einzelpersonen, Aktivist:innen, aus den verschiedensten Bereichen und Zusammenhängen in Berlin. Die Initiative gründete sich etwa im Juni 2012, damals bei der Migrant*innenselbstorganisation Allmende am Kottbusser Tor. Es hat eine Weile gedauert, bis wir mit der Familie Kontakt aufnehmen und Vertrauen herstellen konnten. Denn die Polizei hatte der Familie davon abgeraten und die Initiative diffamiert. In der Anfangszeit unserer Arbeit war nicht abzusehen, dass es nach 10 Jahren keine Aufklärung geben würde, und dass wir so lange zusammenarbeiten würden. Wir danken der Familie Bektaş für das langjährige Vertrauen und die Zusammenarbeit mit uns, mit Menschen, die teils seit 10 Jahren dabei sind, oder erst seit 2 Jahren, die euch anfänglich fremd waren und über die ihr nichts wusstet. Wir haben großen Respekt für den Mut und die Kraft, welche die Familie Bektaş in ihrem jahrelangen Kampf um Aufklärung immer wieder aufgebracht hat. Wir haben große Anerkennung für die Freunde von Burak, die über all die Jahre zu ihrer Freundschaft zu Burak und zu Familie Bektaş stehen.

Seit 10 Jahren stehen wir solidarisch zusammen und fordern die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş. Was haben wir in dieser Zeit getan?
* Wir haben in Kooperation mit verschiedenen Politiker:innen fast 100 Fragen im Abgeordnetenhaus von Berlin und im Bundestag zu dem Mord gestellt.
* Wir haben zahlreiche Mahnwachen, Gedenkkundgebungen und Demonstrationen organisiert.
* Wir arbeiten mit den Anwält:innen zusammen. Mindestens 8 Anwälte und Anwältinnen waren oder sind mit den Akten beschäftigt.
* Wir haben Konktakte hergestellt zu Journalist:innen und Künstler:innen. Wir haben Veranstaltungen durchgeführt, Pressekonferenzen organisiert, Pressemitteilungen verfasst. Ungezählte Journalist:innen haben berichtet, viele solidarisch, andere haben mit Dreck geworfen und die Angehörigen schwer verletzt.
* Wir haben den Mordprozess an Luke Holland beobachtet, der 2015 in Neukölln ermordet wurde, und Familie Holland unterstützt.
* Wir haben uns mit zahlreichen anderen Gedenk- und Betroffenen-Initiativen bundesweit vernetzt. Wir waren in Köln beim Birlikte Fest und haben daraus das bundesweite Aktionsbündnis-NSU-Komplex-auflösen mitgetragen. Wir haben die Angehörigen und Betroffenen im NSU-Prozess in München unterstützt. Wir haben in München mit Familie Bektaş und ihren Rechtsanwält*innen eine Pressekonferenz durchgeführt.
* Wir haben den Gedenkort für Burak Bektaş an dieser Stelle geschaffen, so wie es sich Melek Bektaş vor Jahren gewünscht hatte. Sechs Jahre hat es gedauert und war nur dank zahlreicher Spenden von rund 70.000 Euro möglich. Der Gedenkort verbindet, er verbindet die Menschen, die trauern, mit den Menschen, die empathisch und solidarisch sind. Er verbindet die persönliche Erinnerung an Burak mit der öffentlichen Erinnerung und politischen Forderung nach Aufklärung.

Wir haben mit euer aller Hilfe getan, was wir konnten. Vielleicht war das nicht genug. Aber ohne all diese Aktivitäten wäre das Verfahren längst eingestellt worden. Das ist sicher.

Das Ergebnis kennen wir alle. Es gibt keins. Dass nach 10 Jahren noch immer kein Täter ermittelt wurde, ist erschütternd und macht fassungslos.

10 Jahre keine Aufklärung und keine Gewissheit. Das heißt 10 Jahre, in denen jeder Gang durch diesen Stadtteil den Gedanken aufkommen lässt, dass der Mörder sich hier noch aufhalten könnte, dass er an der Supermarktkasse hinter uns steht, dass er im selben Restaurant sitzt, dass er genau beobachtet, was wir seit vielen Jahren tun.

Was ist nun unsere Bilanz aus 10 Jahren kritischer Begleitung der Ermittlungsarbeit?

Frau Yozgat sagte nach Ende des NSU-Prozesses “arı gibi çalıştılar ama bal yapamadılar” – “Sie haben wie die Bienen gearbeitet, aber sie haben keinen Honig gemacht”. Das trifft für die Ermittlungen im Fall Burak ebenfalls zu.

Über die Jahre haben wir Detailinformationen über Vorgehensweisen der Ermittlungsbehörden erfahren, die darauf schließen oder zumindest die Ursachen dafür erahnen lassen, warum der Mord an Burak und der Mordversuch an zwei weiteren jungen Männern, nach wie vor nicht aufgeklärt worden sind. Ein paar Beispiele:

* Betroffene Zeugen berichteten, dass die Ermittlungsbehörden schon von Anfang an völlig chaotisch vorgingen.
* Die Überlebenden des Anschlags, die somit direkte Zeugen der Tat waren, wurden nur ein einziges Mal befragt. Dies geschah unmittelbar nach dem Mord, als die Jugendlichen noch unter Schock standen. Es wurde ihnen angekündigt, dass sie nochmal zur Erstellung eines Phantombilds geholt werden würden. Das ist aber nie passiert.
* Die Ermittler:innen haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Hülsen der Projektile hinreichend zu sichern und auszuwerten.

Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass Hinweisen gar nicht oder nachlässig nachgegangen wurde:

Wir wissen beispielsweise, dass in dieser Gegend viele Leute von der Polizei zu dem Mord befragt wurden. Was wurde mit den Antworten gemacht? Unklar.

Eine Ermittlungsgruppe des LKA gab Empfehlungen für neue Ermittlungsansätze. Diese wurden aber allem Anschein nach 2 1/2 Jahre lang einfach nicht umgesetzt, sondern ignoriert. Dazu kommt, dass sie erst viel später in die Fallakten kamen, sodass sie in dieser Zeit den Anwält:innen vorenthalten wurden. Nachdem der Skandal öffentlich wurde, versuchte Innensenator Geisel ihn als “Büroversehen” herunter zu spielen.

Ein weiterer Hinweis, dem nicht ordentlich nachgegangen wurde, hängt eng mit dem Mord an Luke Holland zusammen, der am 20. September 2015 in Neukölln ermordet wurde.
Luke Holland wurde von Rolf Zielezinski ermordet, der für diesen Mord auch verurteilt wurde. Im Prozess kamen viele Belege für die rechte, rassistische Gesinnung Zielsinskis zur Sprache. Ein rechtes Tatmotiv wurde von Gericht und Staatsanwaltschaft jedoch nicht festgestellt. Die Tat wurde entpolitisiert und der Mord als “Mord ohne Motiv” dargestellt. Dieses Urteil war ein Schlag ins Gesicht der Angehörigen und aller, die den Prozess beobachtet haben.

Brisant Im Zusammenhang mit dem Mord an Burak ist, dass der Name Rolf Zielezinski schon 2013 in der Akte zum Mord an Burak Bektaş auftaucht. Rolf Zielesinski war einem Hinweisgeber als illegaler Waffenbesitzer mit einem engen Bezug zum Tatort des Mordes an Burak Bektaş bekannt. Doch diesem Hinweis wurde nicht sorgfältig nachgegangen. Das hat der damalige Kommissar zugegeben, weil es ihm nachgewiesen wurde.

Vor diesem Hintergrund sagte Lukes Mutter Rita Holland: Wäre ordentlich ermittelt worden, hätte der Mord an Luke Holland möglicherweise verhindert werden können und Luke wäre noch am Leben.

Und wie bilanziert die Berliner Staatsanwaltschaft?
Der Mord an Burak sei – Zitat – “gewissermaßen das perfekte Verbrechen”, verlautbarte sie kürzlich in einem Pressegespräch. In Bezug auf die Ermittlungen habe sie sich nichts vorzuwerfen. Diese Schlussfolgerung kommt einer Kapitulation gleich. Sie ist ein Armutszeugnis. Sie ist ein durchschaubarer Versuch, die ergebnislosen Ermittlungen zu legitimieren.
Unsere Forderung nach unabhängigen Ermittlungen im Fall Burak Bektaş wird dadurch ein weiteres mal bekräftigt. Und natürlich werden wir auch den Untersuchungsausschuss zum Neukölln-Komplex kritisch begleiten und unsere Fragen und Forderungen dort einbringen.

Wir kritisieren seit Jahren und können es nur wiederholen: Einem rechten, rassistischen Tatmotiv wird im Fall Burak Bektaş nicht ausreichend nachgegangen. Die Behörden sind nicht in der Lage oder nicht willens, rechte, rassistische Handlungen und Motive zu erkennen, richtig zu beurteilen und effektiv zu ermitteln. Die Fehler sind nicht mehr gutzumachen.

Wer hat Burak ermordet? Dies ist die Frage, die uns hier alle zusammenführt.
Wir geben die Hoffnung nicht auf. Wir werden nicht vergessen. Und wir werden Aufklärung einfordern, wenn nötig weitere Jahrzehnte. Wir wissen, dass der Mörder irgendwann einen Fehler machen wird. Oder irgendwann ein Mitwisser nicht mehr schweigen kann oder sich verquatscht. Wir werden hier solange stehen, Jahr für Jahr, bis der Mord aufgeklärt ist.

Wir danken euch allen, die ihr heute gekommen seid, dass wir euch dabei an unserer Seite und an der Seite von Familie Bektaş und Buraks Freund:innen wissen.

In Gedenken Burak Bektaş – Einladung zur Filmvorführung am 5.4.2022 um 20.00 Uhr im Rollberg-Kino und anschließend Offenes Gespräch

In Gedenken Burak Bektaş
Wir laden herzlich ein zum “Offenen Gespräch” nach der Filmvorführung am 5.4.2022 um 20.00 Uhr im Rollberg-Kino
Zusammenkommen beim Filmabend anlässlich des 10.Jahrestages der Ermordung von Burak Bektaş
PM ZDFinfo Rechter Terror in Neukölln – Über den Fall Burak Bektaş

“Die ZDF info-Dokumentation rekonstruiert den Fall und nimmt die Zuschauer mit an die Schauplätze der Tat. Autorin und Regisseurin Carla Röthig ist es unter anderem gelungen, vor der Kamera mit den Freunden von Burak Bektaş zu sprechen, die in der Tatnacht mit ihm unterwegs waren und teilweise selbst lebensgefährlich verletzt wurden. Welche Erinnerungen haben sie an die Tatnacht? Die Autorin hat zudem mit der Familie und mit deren Anwalt Mehmet Daimagüler gesprochen, einem der Vertreter der Nebenklage im NSU-Prozess. Einblick in die Ermittlungsarbeit zum Mord an Burak Bektaş geben Alexander Huebner, Kriminalhauptkommissar beim LKA Berlin und von Beginn an mit den Ermittlungen im Fall Bektaş betraut, sowie der Pressesprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Martin Steltner.”