anlässlich des 9. Todestages von Burak am 5.4.2021
Hi, ich bin Jorinde von der Initiative KGV. Wir sind eine Neuköllner Initiaitve und stellen uns gegen die rassistische Schikane und Kriminalisierung von Neuköllner*innen im Rahmen der Clan-Debatte. Danke an die Burak Bektas-Initiative, dass wir heute sprechen können.
Auch wir trauern heute. Gemeinsam mit euch allen, mit Burak Bektas‘ Familie und den Angehörigen. Nicht nur durch die ungeklärten Umstände rund um den Mord, sondern auch durch die mediale Berichterstattung darüber, durch die wiederholten Anschläge gegen das Mahnmal wurde Burak Bektas Opfer von den rassistischen Zuständen in Deutschland. Wir trauern – und wir werden nicht aufhören, gemeinsam die Aufklärung zu fordern.
Dass Rassismus als Motiv von den Behörden häufig übersehen wird, ist kein Zufall. Denn Rassismus in den Behörden, rassistische Berichterstattung und rassistische Polizeigewalt sind in Deutschland Alltag.
Auch in Neukölln gibt es ein massives Problem mit Polizeigewalt. Kaum vergeht ein Tag, an dem nicht Polizeikräfte den Alltag stören. Große Teile Nordneuköllns gelten als sogenannte „kriminalitätsbelastete Orte“, wo Menschen anlasslos kontrolliert und durchsucht werden können. Das ist eine Steilvorlage für Racial Profiling und eine Praxis, die Grundrechte aufhebt. Sie kommt häufig zur Anwendung.
Seit Beginn der rassistischen Clan-Debatte sind unzählige Shishabars, Restaurants, Cafés, Barbiere und Spätis gewaltsam gerazzt worden. Angeblich geschah das zur Bekämpfung der sogenannten „Clan-Kriminalität“. Die mauen Ergebnisse erzählen allerdings eine andere Geschichte.
Jüngst kamen auch fadenscheinig begründete Razzien in Moscheen hinzu. Angeblicher Schwindel bei Coronahilfen wurde als Vorwand genutzt, um unverhältnismäßige Razzien in Gebetshäusern durchzuführen, die eine große mediale Aufmerksamkeit erfuhren. Menschen mit Migrationsgeschichte erleben ständig unverhältnismäßige Repression durch Polizei und Sicherheitsbehörden.
Schauen wir uns die Razzien gegen die sogenannte Clankriminalität näher an.
240 sogenannte „Kontrolleinsätze zur Bekämpfung der Clankriminalität“ gab es im Jahr 2020. Insgesamt 525 Läden wurden dabei kontrolliert, vor allen Dingen Shishabars und Barbershops. Fast 38961 Einsatzstunden alleine bei der Polizei kosteten diese Maßnahmen.
Seit Längerem gibt es Kritik an den Einsätzen. Denn Bagatelldelikte werden zu Schwerverbrechen aufgebauscht und einfache Gewerbekontrollen im Stil von Razzien durchgeführt – nur ohne konkrete Hinweise auf Straftaten. Das nennt man Politik der Nadelstiche. Rechtsstaatlich problematisch, weil administratives Recht und Strafrecht vermischt werden. Praktisch auf der Straße: Ständige Schikane.
Ein Blick auf die Ergebnisse bestätigt das Bild: Die größte Anzahl an Delikten, welche die Polizei in ihrer Jahresbilanz Clankriminalität 2020 führt, sind Verstöße gegen die Verkehrsordnung und Verskehrsstraftaten sowie Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz. Die „Bilanz“ kommt zustande, in dem man bestimmte Orte und Personengruppen intensiviert kontrolliert und alles, was man findet, ebenfalls als „Clankriminalität“ bezeichnet.
Die Jahresbilanz zeigt auch: es hat sich etabliert, Kriminalität anhand von Herkunft und Ethnizität zu kategorisieren, was auch die bekanntgegebene „Zahl an Clankriminellen zeigt“, die nach einer mit fragwürdigen Definitionsmerkmalen wie „ethnisch abgeschottete Subkulturen“, „arabischstämmige Strukturen“ oder „Parallelgesellschaft“ arbeitet.
Dass viele im Zusammenhang mit den Einsätzen von einer aggressiven und übergriffigen Polizei sprechen, ist kein Zufall. Denn die Begriffe und Materialien, mit denen die Polizei arbeitet, sind hochgradig rasstisch aufgeladen und verwenden eine stereotypisierende, gewaltvolle Sprache.
Eine Polizeibroschüre aus NRW zum Thema „Clankriminalität“ zum Beispiel spricht ganz offen von einer Technik der Zermürbung ggüber bestimmter Gruppen. Die Autor*innen dieser Studie schlagen vor, bewusst Hundestaffeln und Beamtinnen einzusetzen, um einzuschüchtern und Erhgefühle zu verletzten. In dieser Polizeiborschüre heißt es weiter:
„Im Nachfolgenden handelt es sich um eine notwendige Kollektivbetrachtung, die sich auf Mitglieder von Familienclans mit krimineller Neigung bezieht. Natürlich sind keineswegs alle Mitglieder, die einem Clan zuzuordnen sind, kriminell. Auf eine stetige Abgrenzung zwischen Clanmitgliedern, die kriminell in Erscheinung getreten und solchen, die es nicht sind, muss an dieser Stelle verzichtet werden.“
Dieser Rassismus und Generalverdacht sind Normalität bei der Polizei. Und das hat konkrete Auswirkungen, auch und insbesondere hier im Bezirk. Neuköllns migrantische Communitites sind ständig polizeilichen Schikanen und Übergriffen ausgesetzt, die legitimiert und angeheizt werden durch solche und viele andere rassistische Debatten. Mittlerweile ist es Gang und Gäbe, „Clanhochzeiten“ polizeilich zu überwachen. Der Fokus weitet sich aus auf andere migrantische Communities. In den sozialen Medien wird ein unerträglicher Hass gegen Menschen geschürt, die vermeintlich zu „Clans“ gehören, wie es jüngst bei einem tragischen Unfall von vier jungen Neuköllnern der Fall war, die medial nicht Mitgefühl erfuhren, sondern denen – mitsamt ihrer trauernden Familien und Angehörigen – in Bezug auf eine erdichtete „Clanzugehörigkeit“ Häme, Hass und Verurteilung galt.
Es sind Formulierungen aus Polizeiberichten und Broschüren, die entmenschlichen und die zur Folge haben, dass die Polizei sich um bestimmte Gruppen und Menschen nur als Feindbilder kümmert – niemals aber zu ihrem Schutz und in ihrem Interesse ermittelt. Polizeiliche Strukturen sind durchtränkt von Rassismus – und bisher gibt es nur halbherzge Versuche, das zu ändern. Die Betroffenen der Neuköllner Naziterrorserie wissen das schmerzhaft, und auch ihr von der Initiative Burak Bektas.
Wir brauchen ein Ende der unverhältnismäßigen Polizeipräsenz in Neukölln. Die Menschen hier strugglen mit niedrigen Löhnen und steigenden Mieten, mit Unsicherheit aufgrund der Corona-Pandemie, mit einem kaputtgesparten öffentlichen Sektor. Öffentliche Gelder müssen in die Bewältigung dieser Probleme fließen – nicht in maßlose Polizeieinsätze, welche die Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Gewalt nur befestigen.
Deswegen sagen wir: Schluss mit der Clan-Debatte! Schluss mit der Praxis der kriminalitätsbelasteten Orte! Aufklärung und Zerschlagung rechter und rassistischer Netzwerke in der Polizei! Aufklärung des Mords an Burak Bektas!
Hintergrund:
Die ersten, welche im politischen Raum von „kriminellen Clanmitgliedern“ sprachen, waren übrigens Afdler. Im Parteiprogramm zur Bundestagswahl 2017 forderten sie den Entzug von Staatsbürgerschaft für „kriminelle Clanmitglieder“.
Damals reagierten Medien noch empört auf den Versuch, erteilte Staatsbürgerschaften wieder entziehen zu wollen – eine Methode, die wir aus dem Nationalsozialismus kennen und welche den ersten Schritt der Entrechutung darstellte.
2019, Zwei Jahre später, forderten die CDU-Innenminister ebenfalls den Entzug der Staatsbürgerschaft bei kriminellen Clanmitgliedern, ebenso wie erleichterte Abschiebung und Vorratsdatenspeicherung in diesem Kontext. Das zeigt: Diese Debatte ist ein Hebel. Denn betrifft eine krasse Maßnahme eine dämonisierte Bevölkerungsgruppe, erscheint sie plötzlich legitim. Schockierend ist, dass die Debatte mittlerweile bis weit in die SPD hineinreicht und immer wieder ihren Gang durch die Talkshows macht, weiter und weiter losgelöst von der Realität..