Auswertung der 15. Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Neukölln Komplex am 1.9.2023

Als Zeugen geladen waren der LKA-Chef Christian Steiof und der ehemalige Leiter der EG Resin, Michael Einsiedel. 

Zuerst wurde der LKA Leiter Christian Steiof befragt. Er erschien mit seiner Anwältin.

In seinem Eingangsstatement betonte Steiof: Es betrübe ihn, dass Fehler gemacht wurden. Aber die Presse habe „verwässernd“ geschrieben. Generell habe es vor allem Kritik an den Punkten fehlendes Aufklärungsinteresse und fehlende Ermittlungsaktivitäten gegeben. Dabei hätten sie alles versucht. „Aber“, so argumentiert er, „uns waren rechtsstaatliche Grenzen gesetzt”, daher sei es ihnen trotz aller Bemühungen nicht gelungen. Sie bräuchten dafür ja „gerichtsfeste Beweise“ und keinen „Glauben“.

Nach eigener Auskunft ist Steiof seit 2011 Direktor des LKA Berlin. Vorher leitete er den Staatsschutz Berlin. Dass er 1965 geboren wurde und seit 1984 bei der Berliner Polizei arbeitet, erfahren wir bei einem sehr knappen Eintrag über ihn bei Wikipedia.
Ansonsten war Herr Steiof sehr sparsam mit Informationen und reagierte auf konkrete Fragen der Abgeordneten mit nichtssagenden Antworten und weitschweifigen Schilderungen bürokratischer Abläufe. Die Abgeordneten versäumten es immer wieder, an diesen Punkten nachzuhaken und bei konkreten Aussagen und Behauptungen Steiofs vertiefend nachzufragen, bis auf wenige Ausnahmen. Niklas Schrader sprach beispielsweise die Frage an, ob aufgrund der rechten Gesinnung der für die Ermittlungen verantwortlichen Personen – auch der Staatsanwält:innen – und persönlichen Verstrickungen mit den Tatverdächtigen diese Ermittlungen nicht ordentlich geführt worden seien. Steiof antwortete, sie hätten ein neues Kommissariat eingerichtet zu politisch motivierten Dienstvergehen. Es seien viele Zusammenhänge geprüft worden. In keinem Fall sei eine solche Verstrickung festgestellt worden. Dabei ist u.a. bekannt, dass der Oberstaatsanwalt Fenner für seine rechte Gesinnung schon länger bekannt war und der leitende Oberstaatsanwalt Raupach dazu sogar einen Vermerk gemacht haben soll. Später erwähnte Steiof dies relativ ungerührt und widersprach damit dem vorher von ihm Geschilderten.

Steiof behauptete auch, dass das LKA Berlin seit 2012 aus dem NSU gelernt und „deutliche Konsequenzen“ gezogen habe und jetzt alles besser mache, so sei auch „der Blickwinkel weiter gesetzt“ worden. Es seien auch Maßnahmen ergriffen worden, um das Vertrauen der Betroffenen wieder herzustellen.
Sie hätten 50 % des Personals ausgetauscht. Weshalb konkret 50 % des Personals ausgetauscht wurde, wurde hier von den Ausschussmitgliedern jedoch nicht gefragt. Inzwischen habe sich das LKA auf 170 Mitarbeiter verdoppelt, wobei die Bekämpfung des Rechtsextremismus von zu Anfang 70/80 Personen auf 132 Personen gestiegen sei. Gleichzeitig konnte Steiof – ungehindert von jeglichen Nachfragen – von Personalmangel und Ressourcenproblemen sprechen und sich über zu langsame rechtsstaatliche Mechanismen beklagen, beispielsweise, dass die Ausspähung von neuen verdächtigen Personen erst nach 48 Stunden möglich ist etc..

Zufrieden zeigte er sich mit der Einrichtung des „Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum GTAZ“: „In den letzten 20 Jahren ist sehr viel passiert“.
(Das GTAZ wurde 2004 in der Puschkinallee Berlin eingerichtet. Von Anfang an gab es die Kritik, dass das Trennungsgebot zwischen GBA, BND, VS, BKA, BAMF, LKA’s der Länder, Zoll etc. dort unterlaufen wird. Als Lehre aus dem NS wurde dieses Trennungsgebot insbesondere zwischen politischer Polizei und normaler Polizei nach 1945 eingeführt. Das GTAZ richtete sich zuerst gegen den internationalen Islamismus, seit dem Bekanntwerden des NSU auch gegen „Ausländerextremismus“, „Linksextremismus“ und „Rechtsextremismus“.)

Sie würden das „Trennungsgebot zwischen den Behörden austarieren“. Das sei aber nicht immer einfach. Auch die „Verwertung von Behördenzeugnissen des VS“ sei jetzt von ihrer Seite besser geregelt. Sie hätten u.a. klargestellt, dass es nicht gehe, dass Quellenschutz vor Gefahrenabwehr gestellt werde. 

Steiof erklärte dann, in Berlin habe es ja sehr wenig NSU gegeben. (Es ist allgemein bekannt, dass das LKA Berlin 3 Spitzel im direkten Umfeld des sog. Kerntrios hatte!)


Dann erklärte er, dass er nicht wisse, weshalb der Untersuchungszeitraum der BAO Fokus nur von 2016-19 war.
Er erklärte auch, durch zu wenig Personal seien die Ermittlungen der EG Resin nur begrenzt möglich gewesen und es konnte nicht in die Vergangenheit geschaut werden.

Dieses Erklärungsfigur zog sich durch seine Aussagen. Warum der Leiter der BAO Fokus nichts vom Nationalen Widerstand Berlin wusste, wisse er auch nicht. Und so ging es mit den Schutzbehauptungen weiter.

Auf eine Nachfrage des Mitglieds des PUA Neukölln-Komplex der CDU, Stephan Lenz zu dem Personalmangel berichtete Steiof, dass sie teilweise 26 Ermittler beantragt hatten, aber nur 10 genehmigt bekamen. Es wurde von beiden dann ausführlich über den Personalmangel der Polizei gesprochen. Stephan Lenz schien sich im Wahlkampfmodus zu befinden. Die hier für die eigentliche Arbeit des Ermittlungsausschusses auf der Hand liegende Frage, warum die Verdoppelung des LKA-Personals denn trotzdem zu keinerlei Ergebnissen bei den Ermittlungen gegen Rechts führte, war auch für Lenz kein Thema.

Womit es zu tun hatte, dass zu wenig Personal bereitgestellt war, welche Prioritäten in Neukölln gesetzt wurden, und mit welcher Rechtfertigung, wurde nicht geklärt. Steiof betonte auch, dass trotz der personellen und technischen Schwierigkeiten „keine kriminalistischen Fehler passiert“ seien.

 Als nach unrechtmäßigen Datenabfragen durch Polizisten gefragt wurde, berichtete Steiof, sie hätten alle Datenabfragen überprüft und keine „unplausible Datenabfrage“ in Bezug auf Opfer der Anschlagsserie Neukölln gefunden. Als dann nachgefragt und bemerkt wurde, dass die Datenschutzbeauftragte von Berlin dies anders sehe, antwortete Steiof, da solle dann doch am besten direkt mit ihr gesprochen werden. Sowas bleibt einfach so stehen und wird nicht weiter hinterfragt.

Auf die Frage von Niklas Schrader (die Linke) zum Treffen von dem Tatverdächtigen Thom mit Polizeibeamtem W. in der Kneipe Ostburger Eck erklärte Steiof: Das sei intensiv geprüft worden, auch mit Bundespolizei und anderen Kräften. Es ließ sich nicht erhärten, dass eine Beziehung bestand. Das Ostburger Eck werde regelmäßig von mehreren Polizisten besucht, es sei „nicht mehr rechtsextrem“.

Steiof bemerkte auch, dass er selbst 20 Jahre in Rudow gewohnt habe und sich dort gut auskenne (Unterton: im Gegensatz zu euch).

Relativ am Schluss reagierte Steiof auf eine Frage des Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, Vasili Franco (Grüne), laut und ärgerlich mit dem Spruch: „Wir brauchen keine Öffentlichkeit und keinen Untersuchungsausschuss, um uns mit Rechtsextremismus zu befassen.“ Das wurde von den Mitgliedern des parlamentarischen Untersuchungsausschusses unkommentiert hingenommen.

Konkrete Nachfragen entlang der Akten, die der PUA Neukölln-Komplex inzwischen offensichtlich erhält, waren immer wieder nicht möglich, da diese zum Gutteil als „Nicht-Öffentlich“, „Geheim“ etc. eingestuft sind. Jedes Zitieren aus den Akten von Niklas Schrader (die Linke), wurde von einer besorgten Frage des Vorsitzenden Vasili Franco, ob diese denn als öffentlich eingestuft seien, unterbrochen und teilweise auf den nicht öffentlichen Teil verlegt.

  1. Anhörung Michael Einsiedel, ehemaliger Leiter EG Resin.

Einsiedel war lange im Bereich Rechtsextremismus tätig, er habe sich 27 Jahre mit dem Bereich beschäftigt. Er hat 2017 beim Staatsschutz die EG Resin aufgebaut und „geführt“.

Sie hätten Gespräche mit den Betroffenen geführt.

Die Arbeit der EG Resin habe sich auf die drei tatverdächtigen Personen, Herrn Thom, Herrn Paulenz und Herrn Beyer fokussiert. Sie hätten ja gewusst, dass es sich bei ihnen um die Verantwortlichen für die Straftaten handelte. Sie waren seit Jahren bekannt. Die EG Resin musste „sie aber überführen“. Daher sei die Absicht gewesen, sie alle bei einem Brandanschlag festzunehmen, um gerichtsfeste Beweise zu haben. Das sei jedoch nicht gelungen. Er sei in der EG Resin innovativer, kreativer als die bisherigen Ermittler vorgegangen. Aber das habe leider zu keinem Ergebnis geführt.
Es habe keine Brandstiftungen während der Observationen, Einsätze etc. der EG Resin gegeben. „Wir haben die Tatverdächtigen nur 2 mal überhaupt gesehen“. Es seien viele Sondereinsätze mit bis zu 200 Kräften durchgeführt worden. „Wir haben alles gemacht, waren technisch gut aufgestellt. Es hat alles nichts genutzt. Erfolg wäre schön gewesen, wir haben alles eingesetzt, hat aber trotzdem nicht geklappt.“ Diese Figur wiederholte sich bei Michael Einsiedel immer wieder: erst wird weitschweifig erzählt, was sie alles Tolles gemacht haben und dann wird festgestellt, es habe aber alles nichts gebracht, in einem eher abgeklärt resignativen Tonfall. Als ob die eigene Arbeit irgendwie auch egal sei.

Mit der Staatsanwaltschaft sei es schwierig gewesen: Sie hätten bei Staatsanwalt Fenner die Durchsuchungen von zehn Objekten beantragt, aber nur 4 bewilligt bekommen. O-Ton: „Wenn die Sachen davor auch nicht geklappt haben, wozu dann hier noch mal. Da habe er sich schon gefragt, salopp ausgedrückt, ob der ein AFD Typ sei.“ Bei der Staatsanwaltschaft abgegebenes Beweismaterial wurde lange nicht bearbeitet, dass sie sich darüber beschwert hätten, darum gekämpft hätten; dass ihre Ermittlungsergebnisse auch strafrechtlich relevant werden, war von ihm nicht zu hören, es war eben so.
Einsiedel sprach auch von Schwierigkeiten mit dem VS, der ihnen Akten ohne konkrete Daten und Angaben gegeben habe und im Nachhinein nach Brandanschlägen etwas anderes behauptete. Es habe sich um Behördenzeugnisse gehandelt, die mit „Nicht Verwenden“ gekennzeichnet waren, ohne konkrete Informationen bezüglich Namen, Orten, Kfz Kennzeichen, also vollkommen nichtssagend und nutzlos. Und so hätten sie eben Ferhat Koçak nicht warnen können.

2018 wurde Einsiedel aufgrund von Bedrohungen – sein Name plus Privatadresse tauchte u.a. auf einer Feindesliste auf – aus der EG Resin genommen und hochbefördert in den Bereich „Islamismus“. Der VS findet bei einem der Tatverdächtigen eine Feindesliste, auf der einer der Ermittler gegen Rechts (u.a.) steht und die Konsequenz ist, dieser Ermittler wird abgezogen und weg versetzt und nimmt das hin, da er ja befördert wird. Und das wars.
Wer sonst noch auf der Liste stand, wollte Michael Einsiedel auf Nachfrage nicht sagen.

Auf die Frage, was er denke, woran es gelegen habe, dass es nie Straftaten während des Zeitraum EG Resin gegeben habe, antworte Einsiedel: Ich dachte, da ist was durchgestochen worden. Sie hätten dann versucht, den Zugang zu Informationen zu beschränken, möglichst wenige Personen eingeweiht, vor allem nicht mehr aus angrenzenden Bezirken und nur noch in engem Kreis Ermittlungen durchgeführt.
So hätten sie herausgefunden, dass Verwandte von Beyer bei der Berliner Polizei arbeiten, konnten aber keine auffälligen Datenabfragen feststellen und was privat besprochen werde, lasse sich halt nicht kontrollieren.
Als er später von Vasili Franco gefragt wurde, was das für interne Folgen gehabt habe, ob bei der Arbeit der EG Resin nicht Misstrauen geherrscht habe und ob sie versucht hätten, die undichte Stelle zu identifizieren, beantwortete Einsiedel die Frage nicht, sondern flüchtete sich stattdessen in leere Phrasen.

Er bemerkte noch, dass Thom seine Daten bei Oliver Werner lagerte, damit sie bei ihm bei möglichen Durchsuchungen nicht gefunden werden konnten.
„Th.s Rechner war extrem geschützt, alle haben sich die Zähne an ihm ausgebissen.“
Sebastian Schmidkes Feindesliste wurde von Thom übernommen und weitergeführt…
All diese Ermittlungsergebnisse sind also achselzuckend ergebnislos.

Und das Ganze wurde von Michael Einsiedel mit viel persönlicher Betroffenheit dargeboten, dabei fühlte mensch sich von Beginn an (ungefragt) angekumpelt, als ob er uns einwickeln wollte mit seinen gefühligen Ausführungen, aber ohne etwas preiszugeben, was nicht schon vorher vermutet wurde bzw. bekannt war.

Fazit

Wir fragen uns, warum von den Mitgliedern des Ausschusses nicht mehr und konkreter nachgefragt, hinterfragt und gebohrt wird, vor allem wenn Behauptungen aufgestellt werden zu Sachverhalten, die öffentlich bekannt sind. Wieso wurde keiner der beiden Zeugen vereidigt?

Ein Netz von geduldeten rechtsoffenen Staatsanwälten, von Ermittlern, die wissen, dass ihre Ermittlungen nur was bringen, wenn sie Nazis auf frischer Tat ertappen, anderen rechten Polizisten, die Nazis warnen und einem LKA-Chef, der sich mehr für die Ausweitung der eigenen Befugnisse (und der Polizei) interessiert als für alles andere. Wenn irgendwer im Neukölln-Komplex sicher ist, dann scheinen es die Nazis zu sein.

Es ist sehr wichtig, dass die Zivilgesellschaft den PUA zum Neukölln-Komplex stärker im Fokus hat. Es braucht öffentlichen Druck. Bitte unterstützt den Untersuchungsausschuss, indem ihr zu den Kundgebungen kommt und die Sitzungen beobachtet.

Der Umstand, dass ein rassistischer Mord und vierfacher Mordversuch in Berlin Neukölln noch immer nicht aufgeklärt ist und auch nicht als solcher anerkannt wird, nämlich der Mord an Burak Bektaş im April 2012 oder ein zweiter Mord in Berlin Neukölln möglicherweise hätte verhindert werden können, wenn im Fall von Burak die Ermittler ernsthaft gearbeitet hätten, nämlich der Mord an Luke Holland, scheint noch immer nicht angekommen sein. Der Mord an Burak und der Mord an Luke rütteln an den Festen dieser Mehrheitsgesellschaft, die Rassismus, die rassistische und rechte Morde und Gewalt nicht sehen will und schon gar nicht strukturellen Rassismus.