Rede der Burak-Ini “12 Jahre ohne Aufklärung” gehalten am 6.4.2024

12 Jahre ohne Aufklärung
sind 12 Jahre ohne Sicherheit für die Familie und viele andere Menschen.
Wir haben es bereits gesagt. Es darf einfach nicht sein, dass wir bis heute nicht wissen, ob von dem Täter weitere Gefahr ausgeht. Ob er für weitere Taten verantwortlich ist. Wir müssen wissen, wer Burak ermordet hat und warum. Niemand darf das Signal bekommen, dass man damit davonkommen kann, wenn man einen Menschen aus mutmaßlich rassistischen Motiven ermordet.

12 Jahre ohne Aufklärung
sind es im Fall von Burak. Aber auch zahlreiche weitere rechtsextreme Straftaten in Neukölln wurden bis heute nicht aufgeklärt. Wir wollen wissen, warum.
Deswegen haben wir gemeinsam mit weiteren Betroffenen und Initiativen seit Jahren einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gefordert.
Dieser Untersuchungsausschuss besteht nun seit 2 Jahren. Er hat die Aufgabe, herauszufinden, warum all diese Straftaten in Neukölln bis heute nicht aufgeklärt wurden.

Ab nächstem Freitag, dem 12. April, wird es in den folgenden Sitzungen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses um die Ermittlungen zum Mord an Burak gehen. Und später auch um den Mord an Luke Holland.

12 Jahre ohne Aufklärung bedeutet auch immer wieder dieselben Fragen stellen zu müssen: Wie Melek Bektas, Buraks Mutter sagt: „Es gibt viele Fragezeichen. Viele offene Fragen.“

Warum wurde Rassismus als Tatmotiv nicht gewissenhaft nachgegangen?
Wir sagen seit Jahren: Wir gehen von Rassismus als Tatmotiv aus, bis das Gegenteil bewiesen ist.
Die Geschehnisse der Jahre vor dem Mord sprechen dafür. Was war also los in Berlin um den April 2012?

In den Monaten vor Buraks Ermordung gab es in Berlin zahlreiche krasse, rechtsextrem motivierte Anschläge.
In Neukölln wurde beispielsweise am 27.6.2011 ein Brandanschlag auf das Anton Schmaus Haus, einen linken Jugendclub, verübt. Das Anton-Schmaus-Haus brannte nieder.
In der gleichen Nacht gab es Brandanschläge auf vier weitere linke Orte in Berlin: Ein Wohnprojekt über dem Bandito Rosso und das Tuntenhaus, beide im Prenzlauer Berg, das Red Stuff und das Tommy Weisbeckerhaus in Kreuzberg.

Im November 2011, in der Nacht zum 9.11.2011, brannte das Anton-Schmaus-Haus bei einem erneuten Brandanschlag zum zweiten Mal aus. Das war nur ca. fünf Monate vor dem Mord an Burak.
Ab Februar 2012 wurden Briefe von Reichsbürgern verschickt. In den Briefen wurden Menschen zur Ausreise aufgefordert, die einem rechtsextremen Weltbild nach nicht nach Deutschland gehören und mit „standrechtlichen Erschießung“ gedroht. Der Brief wurde zur Anzeige gebracht. Die Bedrohungslage muss der Polizei also bekannt gewesen sein.
In einer kleinen Anfrage vom 12. April 2013 (Drucksache 17 / 11 880, Frage 7 – link) zu dem Thema, ob ein Zusammenhang zwischen dem Mord an Burak und dem Reichsbürgerspektrum in Erwägung gezogen wird, wurde dreisterweise einfach nur geantwortet: Zitat „Es gibt keinen polizeilich definierten Begriff eines „Reichsbürgerspektrums“. Offenbar wurde da also nichts überprüft. Super Arbeit!

Außerdem zirkulierte im Netz der Aufruf einen Berliner Neonazi zu rächen. Dieser starb 19 Jahre zuvor am 04. April 1992 bei einer Auseinandersetzung mit migrantischen Antifas. Auch die „Freien Kräfte Neukölln“ riefen zur Rache auf. Burak wurde also am Todestag eines Neonazis ermordet, für den andere Neonazis zur Rache aufgerufen haben.

Was diese Beispiele auf jeden Fall deutlich machen, ist: Offensichtlich gibt es in Berlin zur Zeit des Mordes an Burak und des Mordanschlags auf seine Freunde eine militante, gewaltorientierte, rechtsextreme Szene aus unterschiedlichen Strömungen.

Auch die Selbstenttarnung des NSU war im November 2011.

Es war also völlig klar: Es gibt militante rechtsterroristische Strukturen in Deutschland, die Menschen aufgrund von rassistischen Motiven ermorden und dadurch auch das Ziel verfolgen, alle von Rassismus betroffenen Menschen in Angst zu versetzen.
Es war ebenso völlig klar: Die Deutsche Polizei hat „nicht in Richtung eines rechten Motivs ermittelt, sondern die Angehörigen und die Opfer selbst verdächtigt,., So blieb der NSU unerkannt“, wie NSU Watch schreibt. Die ermittelnden Behörden klärten die jahrelang andauernde Mordserie nicht auf und weigerten sich, sie als rassistische Mordserie zu erkennen.

Führen wir uns nochmal den Tathergang am 5.4.2012 vor Augen. Eine Gruppe junger Männer mit Migrationshintergrund steht nachts auf der Straße, unterhält sich und sie haben eine gute Zeit. Sie sind zufällig aufeinander getroffen. Ein unbekannter weißer Mann nähert sich und schießt völlig unvermittelt, ohne Wortwechsel auf die Jugendlichen. Er entfernt sich ohne große Hast vom Tatort.
Der Tathergang erinnert an die Taten des NSU. Das Tatmotiv Rassismus drängt sich geradezu auf. Andere plausible Motive gibt es nicht und wurden auch von der Polizei offenbar nicht gefunden.

Aufgrund des Tathergangs und der politischen „Großwetterlage“ hätte es also unbedingt Sinn gemacht, zuallererst Richtung rechts zu ermitteln und das Tatmotiv Rassismus abzuklopfen.
Wenn es Hausdurchsuchungen bei Neuköllner Neonazis gegeben hätte und Befragungen stattgefunden hätten, wäre uns dies bekannt. Das war aber nicht so.
Wir wollen deswegen wissen: Hat die Polizei etwas unternommen, um das Tatmotiv Rassismus konsequent zu überprüfen? Wir wollen keine Worthülsen-Antworten mehr, Damit lassen wir uns nicht abspeisen!

Wenn es also so ist, dass das Tatmotiv Rassismus von der Polizei nicht gewissenhaft geprüft wurde, wollen wir wissen: Warum und wer ist für dieses unentschuldbare Versäumnis verantwortlich?

Was wir wissen, und was uns in unserem Misstrauen gegenüber den polizeilichen Ermittlungen Recht gibt: Kommissar Hübner, lange Jahre leitender Ermittler im Mordfall Burak, hat direkt im Anschluss, ab 2019 beim Staatsschutz 387 Fälle von mutmaßlich rechtsextremen Straftaten einfach nicht bearbeitet. Er hat sie liegen lassen und genau nichts unternommen. Konsequente Strafverfolgung von rechtsextremen Straftaten? Fehlanzeige! Wegen „Strafvereitelung im Amt“ wird nun ermittelt.

Buraks Fall war zwar nicht bei diesen liegen gelassenen Fällen dabei. Aber auch in Buraks Fall können wir eindeutig von Verschleppung der Ermittlungen sprechen.

Wir machen weiter mit der Tatnacht, der Nacht vom 4. Auf den 5. April 2012.
Hier wollen wir als erstes wissen:
Wie ist die unwürdige Behandlung der Überlebenden und von Buraks Angehörigen zu erklären? Die Überlebenden mussten noch eine lange Zeit draußen in der Kälte auf der Straße warten und wurden anschließend bis zum frühen Morgen auf dem Polizeirevier befragt. Und das, nachdem sie gerade einen Mordanschlag überlebt hatten, zwei ihrer Freunde in Lebensgefahr schwebten und einer ihrer Freunde den Anschlag nicht überlebt hatte.
Buraks Familie wurde nicht etwa zu Hause von der Polizei aufgesucht, um ihnen schonend beizubringen, was passiert war. Nein, einer von Buraks Freunden hat Buraks Eltern informiert, dass etwas Schlimmes passiert ist. Sie haben daraufhin selbst mitten in der Nacht das Polizeirevier aufgesucht. Sie wurden eine Dreiviertelstunde warten gelassen, bevor sich endlich jemand die Zeit nahm, ihnen mitzuteilen, dass ihr Sohn erschossen wurde.

Aber in der Nähe des Tatorts wurde in der Tatnacht eine Person mit türkischem Namen als tatverdächtig festgenommen. Es stellte sich heraus, dass die Person mit dem Mord an Burak nichts zu tun hatte.
Drei ältere weiße Männer, die gerade aus einer „rechtslastigen“ Kneipe in der Nähe kamen und keinen wirklichen Grund nennen konnten, weshalb sie am Tatort auftauchten, wurden von der Polizei freundlich als Zeugen und nicht etwa als Tatverdächtige registriert.
Ein migrantisch gelesener Mann, der versuchte, den Überlebenden direkt nach dem Mord beizustehen, wurde von der Polizei am Tatort ignoriert, obwohl er eine Zeugenaussage machen wollte. Als er daraufhin schließlich gehen wollte, bedrohten sie ihn mit einer Waffe.
Auch die Tatortarbeit, die Beweissicherung, war schockierend schlecht. So hat zum Beispiel ein Autobesitzer am nächsten Tag ein Einschussloch in seinem Auto entdeckt. Er hat das Projektil selbst zur Polizei gebracht. Wieso konnte die Polizei bei einer Spurensicherung ein Einschussloch in einem Auto übersehen?

Auch in den Ermittlungen, die auf den Mord folgten, wurde relevanten Hinweisen nicht nachgegangen.

Ein Beispiel dafür, ist der Umgang mit einem Hinweis zu Rolf Zielezinski, dem Mörder von Luke Holland, der an die Polizei 2013 ging. Rolf Zielezinski sei in illegalem Waffenbesitz und habe engen Bezug zum Tatort des Mordes an Burak Bektaş.
Dem wurde nicht sorgfältig nachgegangen. Der damals zuständige Mordermittler, der oben schon erwähnte Hübner, hat dies erst zugegeben, als es ihm im Kontext der Ermittlungen zum Mord an Luke Holland 2016 nachgewiesen wurde.
Wir wollen die Gründe erfahren. Warum wurde diesen Hinweisen nicht ordentlich nachgegangen?
Die Familien Holland und Bektaş gehen davon aus, dass es gut möglich ist, dass ihre Söhne von demselben Täter, Rolf Zielezinski, ermordet wurden. Wäre nach dem Mord an Burak korrekt ermittelt worden, hätte dann der Mord an Luke verhindert werden können?
Und noch mehr zu Rolf Zielezinski: Er wurde für den Mord an Luke Holland verurteilt, jedoch angeblich ohne feststellbares Motiv. Der damalige Polizeipräsident Kandt bestätigte kürzlich als Zeuge im Untersuchungsausschuss diese Auffassung noch einmal. Dabei ist klar, dass Zielezinski ein Nazi ist. Im Prozess gegen ihn kamen zahlreiche Beweise für seine extrem rechten und rassistischen Auffassungen zur Sprache. Was wird unternommen, wenn sich herausstellt, dass Ermittlungsbehörden und Richter*innen offenbar nicht willens sind, rechte Motive zu erkennen und die Konsequenzen daraus zu ziehen?

Es gab kurz nach dem Mord im Juni 2012 einen „Auswertungsbericht des Landeskriminalamtes mit Empfehlungen für neue Ermittlungsansätze. Diese wurden aber allem Anschein nach 2 1/2 Jahre lang nicht umgesetzt.
Nach wiederholten Aktenanfragen der Anwälte der Familie Bektaş, erhielten diese den Auswertungsbericht erst 2016. Für die Arbeit der Anwält:innen der Familie Bektaş sind vollständige Akten die wichtigste Informationsquelle. Werden diese nicht von der Staatsanwaltschaft geliefert, wird ihre Arbeit sozusagen torpediert. Dreisterweise wurde dann im Februar 2016 auf eine kleine Anfrage der Parlamentarier:innen (Drucksache 17 / 17 924 – link) behauptet, dieser Auswertungsbericht sei nicht 2012 sondern erst 2015 erstellt worden.
Erst 2019 musste dann von Innensenator Geisel zugegeben werden, dass der Auswertungsbericht doch schon 2012 erstellt wurde (Drucksache 18 / 20 062 – link). Es wurde als „Büroversehen” bezeichnet.

Um welches „Büro“ soll es dabei gehen? Solche angeblichen Büroversehen kennen wir bereits von den NSU-Morden. Wer ist hierfür verantwortlich zu machen? Wer hat solch ein Interesse an der Verschleppung der Aufklärung des Mordes an Burak?

Am 8.4.2019 wurden falsche und verleumderische Aussagen über Burak im Berliner Kurier abgedruckt, was bei der Familie zusätzlichen Schmerz verursacht hat. Diese Informationen kamen laut der Zeitung aus dem Polizeiapparat, Konsequenzen gab es keine.

Ist es möglich, dass bekannte Neuköllner Neonazis in die Morde von Luke und Burak verwickelt sind? Auf diese Frage, sagte vor kurzem der damals im LKA im Bereich rechtsextreme Straftaten tätige Polizeizeuge Minske im Untersuchungsausschuss, es sei vom Staatsschutz überprüft worden, ob der Tatverdächtigenkreis des Neukölln-Komplexes für Buraks Fall relevant sei. Es sei aber zu keinem Ergebniss gekommen. Seiner Meinung nach sei dem nicht so, da sie keine Schusswaffen gehabt hätten.
Wie kommt er zu dieser Aussage? Wurde das konkret überprüft?

Nach dieser langen und unvollständigen Liste all der offenen Fragen, wundern wir uns, wie der Parlamentarische Untersuchungsausschuss diese in den lächerlich wenigen Sitzungen beantworten soll, die sie bis jetzt zu dem Mord an Burak angesetzt haben. Allein das ist schon wieder ein Skandal!

Wir sind sehr gespannt darauf, was bei den kommenden Ausschusssitzungen zum Neukölln-Komplex beim Parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus zu Buraks und Lukes Ermordung passiert. Werden die für die Ermittlungen verantwortlichen Staatsanwälte und Polizeibeamt:innen sich wieder an angeblich nichts erinnern können, es sei ja schon so lange her? Ja, alles ist lange her. Wir erinnern!

12 Jahre ohne Burak
12 Jahre ohne Aufklärung
12 Jahre die Frage: War das Motiv Rassismus?

Wer Gedenken will, muß aufklären.
Erinnern, Aufklären, Gerechtigkeit. Konsequenzen!
No justice – no peace