Redebeitrag zur Kundgebung in Halle/S.: 4. Jahrestag des antisemitischen, antifeministischen und rassistischen Anschlags

Liebe Angehörige und Freund*innen von Jana L. und Kevin Schwarze, liebe Soligruppe 9. Oktober, liebe Überlebende und Betroffene der jüdischen Gemeinde, des Tekiez’, der Magdeburger Straße, aus Wiedersdorf Landsberg, liebe Angehörige und Freund*innen von den Opfern des Anschlags, liebe Initiativen, liebe solidarische Menschen,
wir versammeln uns heute hier in Halle, um Jana L. und Kevin Schwarze zu gedenken, die vor 4 Jahren bei dem antisemitischen, rassistischen und antifeministischen Anschlag ihr Leben verloren haben. Wir versammeln uns, um euch unser tiefes Mitgefühl und unsere Solidarität auszudrücken.
Unser Gedenken gilt den Ermordeten des Anschlags. Unsere Gedanken sind bei denen, die ihre Liebsten verloren haben, bei ihrer Familie, bei ihren Freund*innen. Und unsere Gedanken sind bei den vielen Überlebenden und Betroffenen des Anschlags. 4 Jahre ist es her, 4 Jahre des Schmerzes und der Trauer.

Unsere Gedanken und Solidarität gelten auch besonders den Überlebenden und Betroffenen von Halle, deren eigenes Leben, das ihrer Familie, ihrer Angehörigen und ihrer Freund*innen erneut bedroht ist durch die aktuellen Terroranschläge in Israel und den Krieg.

Und unsere Gedanken sind auch bei denen, die durch die kontinuierlichen rechten Gewalttaten bedroht und von ihnen betroffen sind. Unser Gedanken sind bei den Opfern und Überlebenden der Shoa und ihren nachfolgenden Generationen. Sie sind Zeitzeug*innen von damals und Zeug*innen von heute. Rebecca Blady sagte in der Zeugenvernehmung 2020 „Auch wenn die Shoa vorbei ist -, die Auswirkungen sind nicht vorbei. Das ist nicht nur ein Faktum der Geschichte. Das ist etwas, das für uns weiterhin tagtäglich präsent ist.“ Und Jeremy Borovitz äußerte sich in einer Open Lecture 2 Jahre nach dem Anschlag, dass er sich immer wieder und besonders nach dem Anschlag gezwungen sieht seine Stimme zu erheben gegenüber der Mehrheitsgesellschaft, die immer wieder behauptet „wir haben keine Schuld“ und „wir haben doch alles richtig gemacht“.

Auf der Ceremony of Resilience vor 2 Jahren sprach Talya Feldmann die Wichtigkeit an, dass alle gemeinsam die Stimme erheben müssen, die Betroffenen von Antisemitismus und Rassismus und die solidarischen Menschen. Um zu überleben und um der dominanten, rassistischen und antisemitischen Stimme der Mehrheitsgesellschaft laut und deutlich entgegenzutreten.

Wir möchten daher mit euch allen gemeinsam unsere Stimme erheben gegen jeglichen Antisemitismus, gegen Rassismus, Rassismus gegen Schwarze, Rassismus gegen People of Color, Antimuslimischen Rassismus und gegen Sinti*zze und Rom*nja; und wie Kevins Vater auf der diesjährigen Ceremony of Resilience sagte, gegen das Vergessen!

Wir sprechen hier für die Initiative zur Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş.
Burak war 22 Jahre alt, als er am 4. April 2012 gewaltsam aus dem Leben gerissen wurde. Wir gehen von einem rassistischen Anschlag auf Burak und seine Freunde aus. Seit 11 Jahren stehen wir an der Seite der Familie, begleiten kritisch die Ermittlungen und fordern Aufklärung.
Wir haben einen Gedenkort für Burak Bektaş geschaffen, so wie es sich Buraks Mutter Melek vor Jahren gewünscht hatte. Der Gedenkort verbindet, er verbindet die Menschen die trauern, mit den Menschen, die empathisch und solidarisch sind. Er verbindet die persönliche Erinnerung an Burak mit der öffentlichen Erinnerung und politischen Forderung nach Aufklärung.
Dank der vielen Unterstützung haben wir viel getan. Doch auch nach 11 Jahren ist der Mörder nicht ermittelt. Aber sicher ist, dass ohne all diese Aktivitäten das Verfahren längst eingestellt worden wäre und es auch keinen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum sog. Neukölln-Komplex geben würde.
Der Mord an Burak hat viele Leben verändert. Der Schmerz und die Trauer halten an. Auch überwindet die Zeit die Wunden nicht. “Acıya zaman aşımı yok.” Neben all dem Leid, dass den Familien und Freund*innen zugefügt wurde, sind auch viele weitere von Rassismus betroffene Menschen verunsichert worden.

Zum 10. Gedenktag der Ermordung von Burak spricht seine Mutter Melek Bektaş zu den solidarischen Menschen und wir möchten euch einen Auszug daraus vorlesen:
„Ich danke euch, dass ihr all die Jahre hierher gekommen seid, dass ihr immer an unserer Seite gestanden habt. Auch wenn wir manches Mal dachten, dass zu unserer Demo niemand mehr kommen wird, seid ihr gekommen. Wir haben nicht damit gerechnet, dass ihr das so lange aushaltet. Dafür danken wir Euch. Ohne euch alle würde es diesen Ort nicht geben. Wäre das Erinnern vielleicht nur noch eine Familienangelegenheit. – Ich halte etwas aus, von dem ich mir kurz nach Buraks Tod nicht vorstellen konnte, dass es möglich ist, das auszuhalten.
Aber ich habe inzwischen andere Menschen getroffen, die noch länger aushalten. Die nicht mehr sprechen oder 20 Jahre nicht gesprochen haben. Das macht das Leiden nicht leichter aber ich sehe, dass Menschen das überlebt haben.“

Und dann möchten wir euch noch Worte von einem trauernden Vater vortragen, von Phil Holland. Sein Sohn Luke Holland wurde am 20. September 2015 ebenso in Berlin-Neukölln ermordet. Sein Mörder konnte mithilfe von Zeug*innen gefasst werden, aber das Gericht wollte kein politisches Motiv erkennen.
Die folgenden Worte hat uns Lukes Vater Phil Holland zum 8. Todestag gesendet:
„I am so grateful for your remembering the murder of Luke, at the place it happened, for all these years. I can say that the pain of my loss never ends, but also, the anger for Zielezinski, the police and the judiciary also never ends. I am amazed and proud of the tenacity, persistence and enduring work by all concerned, to bring justice for Burak and his family, is incredible and now appears to be working. I am afraid I cannot attend the remembrance, but will obviously be thinking of Luke and The Alliance on the day. Kindest Regards and thankyou again, Phil.“
(und die deutsche Übersetzung)
„Ich bin sehr dankbar für euer Erinnern an den Mord an Luke während all dieser Jahre an der Stelle, wo es geschah. Ich kann sagen, dass der Schmerz über meinen Verlust nie aufhören wird, aber auch nicht die Wut auf Zielezinski, die Polizei und die Justiz. Ich bin beeindruckt und stolz auf die Hartnäckigkeit, die Ausdauer und die beharrliche Arbeit aller Beteiligten, um Burak und seiner Familie Gerechtigkeit zu verschaffen. Sie ist unglaublich und scheint nun Wirkung zu zeigen. Leider werde ich bei der Gedenkveranstaltung nicht anwesend sein können, aber ich werde natürlich an Luke und das Bündnis denken. Liebe Grüße und nochmals vielen Dank, Phil.“

Wie Melek Bektaş sagte, können wir die, die wir verloren haben, nicht zurückbringen. Aber wir können hoffen, dass keine weiteren Buraks sterben. Die Skulptur, die am Gedenkort von Burak aufgestellt ist, nennt sich so auch „Algorhythmus für Burak und ähnliche Fälle“.

Wir brauchen Gerechtigkeit und müssen unsere Stimmen laut für alle Buraks erheben! Daher stehen wir heute solidarisch mit euch Hand in Hand, gegen das Vergessen und für eine sichere Zukunft für uns alle, für euch, eure Freund*innen, eure Familie, für eure Kinder und die kommenden Generationen,
– in Halle und überall auf der Welt…!

etwas Presse:
13.10.2023 belltower.news: Gegen das Vergessen
09.10.2023 taz: Vierter Jahrestag des Halle-Anschlags: „Es ist wichtig, wie wir erinnern“
29.09.2023 Belltower News: Ceremony of Resilience Hoffnung gegen Hass: Zum vierten Mal findet das Festival of Resilience statt, initiiert von Überlebenden und Hinterbliebenen des rechtsterroristischen Halle-Anschlags.