Redebeitrag bei der Hanau-Kundgebung auf dem OPlatz

Liebe Angehörige und Freund*innen von Opfern rassistischer und rechter Gewalt, liebe Betroffene, liebe solidarische Menschen,

Wir versammeln uns heute, um der Menschen zu gedenken, die ihr Leben durch den rassistischen Terroranschlag in Hanau vor 4 Jahren in der Nacht des 19.2.2020 verloren haben.
Wir erinnern Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin.

Am Samstag waren wir mit den Angehörigen der Ermordeten und den Überlebenden des Anschlags zusammen in Hanau demonstrieren und überbringen viele liebe Grüße von ihnen an unsere Kundgebung hier heute in Berlin. Wir sind überwältigt von der Demo und der Kundgebung mit etwa 10 000 Menschen.
Der Schmerz der Betroffenen vergeht nicht. Und trotz allem, was sie durchmachen müssen, wandeln sie Ihre Trauer und Ihre Wut aktiv und kämpferisch um und: Sie sind unüberhörbar!

Immer wieder werden Menschen aufgrund von rassistischen, antisemitischen und anderen menschenfeindlichen Motiven ermordet. Ihren Angehörigen werden von den Behörden Informationen vorenthalten. Sie müssen kämpfen, sich gegen Diffamierungen wehren und die Aufklärung selbst in die Hand nehmen. All diese Fälle werden bestenfalls als bedauerliche Einzelfälle dargestellt.
Und wir wissen, das Problem ist:
Rassismus, Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus haben System! 

Wir haben uns mit Angehörigen, Betroffenen und Initiativen bundesweit vernetzt. Unsere zentrale Forderung ist: Wir wollen keine leeren Versprechen! Wir wollen Veränderung. Wir fordern einen respektvollen Umgang von Behörden mit den Angehörigen und Überlebenden. Dazu gehört, das Mahnmal für die Opfer des Anschlags auf die Weise und an dem Ort umzusetzen, wie sie es wünschen. Dazu gehört, den andauernden Bedrohungen durch den Vater des Täters ein Ende zu setzen. Dazu gehört ihre Wünsche in Bezug auf das Gedenken zu respektieren. Wenn Angehörige in Hanau eine Vereinnahmung des Erinnerns auf dem Friedhof von offizieller Seite ablehnen, dann ist das kein Grund beleidigt zu tun. Dann ist es Zeit, sie zu respektieren. Dazu zählt als erstes eine Verantwortungsübernahme für alle Fehler, die vor, während und nach der Tatnacht von behördlicher Seite begangen wurden. Und es ist Zeit für eine vollumfängliche Aufklärung. 

Millionen Menschen haben in den letzten Wochen aufgrund der Correctiv Recherchen zu „Remigrationsplänen“ von AfD Politiker*innen und anderen Nazis protestiert. Wir sind nicht überrascht von diesen Plänen. Auch die Tat von Hanau steht im Kontext der rassistischen Stimmungsmache in Deutschland. Und dabei macht uns die rassistische Hetze aus der Mitte der Gesellschaft die größte Angst. Gemeinsam gegen die Angst stehen wir zusammen gegen den Rechtsruck und wir organisieren uns. Gedenkorte, Mahnwachen oder Demonstrationen sind Zeichen dafür, dass die Rechnung der Täter*innen und die der Ermittlungsbehörden nicht aufgehen wird.

Wir sprechen hier als die Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş. Der Mord an Burak steht in Kontinuität mit rechten rassistischen Morde und Gewalt in Deutschland. Burak wurde am 5. April 2012 in Neukölln ermordet. Burak und vier weitere junge Männer mit Migrationsgeschichte standen zufällig zusammen und hatten gemeinsam Spaß, als der Mörder vollkommen unvermittelt auf sie zukam und schoss. Burak starb an seinen Schussverletzungen. Die Tat geschah kurz nach dem Auffliegen der NSU-Morde. Und die Tat geschah in einem Kontext von Brandanschlagsserien und Drohbriefen gegen Menschen mit Migrationsgeschichte. Und es ist bekannt, dass es eine bundesweit vernetzte Nazi-Szene gibt, die bis nach Berlin-Neukölln reicht. Der Mörder von Burak wurde bis heute nicht ermittelt. Welches andere Motiv sollte denkbar sein als Rassismus? Alle anderen Motive wurden von den Ermittler:innen selbst ausgeschlossen. In wenigen Wochen, am 5.April, jährt sich der Tag der Ermordung von Burak zum 12. Mal. Gemeinsam mit euch wollen wir zusammen mit Familie Bektaş und Buraks Freund*innen Burak gedenken und für Aufklärung kämpfen. Dazu laden wir euch herzlich ein.

Seit 2022 untersucht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss den Neukölln-Komplex. Auch die Morde an Burak Bektaş und Luke Holland, der am 20.9.2015 in Neukölln von einem Nazi ermordet wurde, werden dort behandelt. Möglicherweise ab Mai oder Juni dieses Jahres. Wir beobachten und begleiten den PUA kritisch. Die Zeugenaussagen von leitenden Polizist*innen ließen teilweise erschreckend große Empathie- und Respektlosigkeit gegenüber den Opfern und Betroffenen der rassistischen und rechten Anschlagsserie in Neukölln erkennen. Bei den Befragungen verfolgen die Polizist*innen die unterschiedlichsten Strategien, um inhaltlich nichts auszusagen, dass nicht ohnehin schon bekannt ist. Wenn es brenzlig wird, können sie sich auffällig wenig erinnern. Das kennen wir bereits aus den NSU-Untersuchungsausschüssen. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zu den Geschehnissen in Hanau ist abgeschlossen. Aus Sicht der Angehörigen trotz relevanter Erkenntnisse ohne Ergebnis.

Im Oktober 2023 wurde bekannt, dass seit 2020 im LKA Berlin 387 Fälle rechter, rassistischer Straftaten nicht bearbeitet wurden. Zuständig für die Bearbeitung dieser Fälle war Kommissar Alexander Hübner, der auch im Mordfall an Burak bis 2019 in leitender Funktion ermittelte. Vor diesem Hintergrund ist es kaum eine Überraschung, dass der Mord nicht aufgeklärt wurde und die Ermittlungen verschleppt wurden.
Aus den bisherigen Sitzungen des Untersuchungsausschusses wird deutlich, dass die Beantwortung von Fragen zur fehlender Aufklärung seitens der Behörden mit allen Mitteln verhindert werden soll. Daher werden wir weiterhin öffentlichen Druck dagegen aufbauen.

Unsere Gedanken sind heute bei den Angehörigen der Ermordeten und den Überlebenden in Hanau. Die offizielle Gedenkkultur ist immer ein Ausdruck des Umgangs von Politik und Gesellschaft mit dem Geschehenen. In Hanau wird von offizieller Seite versucht, das Erinnern zum Schweigen zu bringen und zu vereinnahmen. Die Wünsche und Ängste der Angehörigen und Betroffenen zählen da wenig. Noch nicht mal als Statisten sind sie bei der offiziellen Gedenkfeier mitgedacht! Sie stören und sollen Ruhe geben.

„Wer Gedenken will, soll aufklären“, entgegnen die Angehörigen der Opfer.

Wir fordern die Anerkennung der Angehörigen der Opfer und der Betroffenen als Zeugen des Geschehenen. Wir fordern Empathie und Respekt gegenüber ihrem Schmerz und dem Leid, das über sie hereingebrochen ist. Wir fordern, dass sie sich in Sicherheit fühlen können. Wir fordern Gerechtigkeit.

Niemand ist vergessen. Erinnern heißt Verändern.

Solidarische Grüße von der „Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş“ Berlin, 19.2.2024

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