Rede der Burak-Initiative bei der Demonstration am 8. Mai in Berlin

8. Mai: Ihr seid keine Sicherheit!
Gemeinsam gegen Rassismus und Nazis in den Sicherheitsbehörden
https://www.ihrseidkeinesicherheit.org/

Rede als Audio bei archive.org / mp3

Hallo,

Ich spreche für die Initiative zur Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş.
Wir freuen uns sehr, dass wir mit euch allen den Jahrestag der Kapitulation Deutschlands und der Befreiung vom deutschen Faschismus feiern.
Wir freuen uns, dass wir so viele sind, die heute lautstark gegen Rassismus und Nazis in den Sicherheitsbehörden auf die Straße zu gehen.
Es ist bitter nötig!

Deutschland hat ein Polizeiproblem.
So viele Fälle, so viele Geschichten, so viele Erlebnisse belegen das.
Wir wollen das am Beispiel von Burak Bektaş darlegen.

Burak Bektaş wurde im Alter von 22 Jahren ermordet.
Am 5. April 2012 stand er mit seinen Freunden in der Nähe des Neuköllner Krankenhauses auf der Straße und unterhielt sich.
Ein unbekannter weißer, älterer Mann näherte sich der Gruppe und schoss auf sie.
Es gab keinen Wortwechsel. Burak starb. Zwei seiner Freunde wurden lebensgefährlich verletzt.
War das Motiv Rassismus, diese Frage steht im Raum.

Auch neun Jahre nach der Tat gibt es keine Aufklärung.

Die Polizeiprobleme in Buraks Fall begannen direkt am Tatort:

Ein migrantisch gelesener Mann, der auf dem Weg von seiner Arbeit nach Hause war, versuchte Buraks Freunde zu beruhigen und zu trösten, noch bevor Notarzt und Polizei am Tatort waren.
Die eintreffende Polizei richtete die Waffe auf diesen Mann und hielt es nicht für nötig, ihn als Zeugen zu befragen.
Für wen wird damit welche Sicherheit hergestellt?
Aus Hanau kennen wir eine ähnliche Geschichte:
Filip Goman, der Vater von Mercedes Kierpacz, hat sie erzählt.
Während er am Tatort mit seiner Familie auf Nachricht von seiner Tochter wartete, hat das SEK ihnen eine Waffe an den Kopf gehalten.
„Mit Lichtern, Hände hoch und auf den Boden und nicht bewegen. Da hab ich gesagt: Bin ich jetzt im falschen Film? Haben wir diesen Anschlag jetzt gemacht? Wir, die Roma?“

Die Polizei nahm den einzigen nicht-weiß-deutschen Menschen am Tatort in Neukölln als Kriminellen war, während er der Einzige war, der direkt nach dem Mord an Burak und dem Mordversuch an zwei seiner Freunde versuchte, den Überlebenden beizustehen.
Drei ältere weiße Männer hingegen, die gerade aus einer „rechtslastigen“ Kneipe in der Nähe kamen und keinen wirklichen Grund nennen konnten, weshalb sie am Tatort auftauchten, wurden von der Polizei freundlich als Zeugen und nicht etwa als Tatverdächtige registriert.

In der Nähe des Tatorts wurde in der Tatnacht eine Person mit türkischem Namen festgenommen. Es stellte sich bald heraus, dass die Person mit dem Mord an Burak nichts zu tun hatte.
Die Akte in Buraks Fall trägt aber bis heute diesen türkischen Namen.
Woran erinnert uns das?
Im Fall der NSU-Morde wurden die ermittelnden Sonderkommissionen mit Namen benannt, die suggerierten, dass es sich um eine „türkische Tat“ handeln könnte: „SoKo Bosporus“ und „Soko Halbmond“.

Was die Polizei in der Tatnacht aber nicht gemacht hat:
Die Polizei hat nicht Buraks Eltern aufgesucht und ihnen nicht die Nachricht vom Tod ihres Sohnes übermittelt.
Burak starb um 1:20 Uhr. Um 5:50 Uhr gingen Buraks Eltern selbst auf die nahe Polizeiwache, um ihren Sohn als vermisst zu melden.
Dort erst erfuhren sie um 6:30 Uhr, dass Burak erschossen worden war. Stunden quälender Ungewissheit hätten ihnen erspart bleiben können.
Das erinnert uns an Hanau, wo die Polizei die Angehörigen der Ermordeten stundenlang in einer Turnhalle warten ließ, bis sie von offizieller Seite die Nachricht erhielten, ob ihre Verwandten noch am Leben waren.
In diesen über alle Maßen schwierigen Stunden wurde ihnen keine psychologische Unterstützung angeboten. Die Geringschätzung gegenüber den Angehörigen empört uns.

Der Tatnacht folgten die Ermittlungen, die, wie wir alle wissen, bis heute nicht zur Aufklärung geführt haben. Diese Ermittlungen wurden nicht mit der gebotenen Ernsthaftigkeit geführt.

Das wollen wir an ein paar Beispielen zeigen:

Ganz in der Nähe des Tatorts gibt es eine Bushaltestelle. Die Busse der BVG verfügen über Kameras, die möglicherweise den Täter aufgezeichnet haben könnten.
Aus diesem Grund forderte die Polizei die Videos von der BVG an.
Erst nach 2 Wochen wurde bemerkt, dass die BVG die Videos vom falschen Zeitraum bereitgestellt hatte. Die richtigen Videos waren in der Zwischenzeit gelöscht worden. Sie durften nur 24 Stunden gespeichert werden – dies war der Polizei sicherlich bekannt.

Im Dezember 2013 wurde von einem Hinweisgeber ein möglicher Tatverdächtiger genannt: Rolf Zielezinski.

Rolf Zielezinski war bereits wegen früheren Waffendelikten aktenkundig.
Er sei mehrmals für „Schießübungen“ nach Rudow gefahren und habe gegenüber dem Hinweisgeber angekündigt, dass er in der Gegend des Krankenhauses Neukölln „rumballern“ wolle.
Dennoch wurde Rolf Zielezinski weder vernommen, noch gab es eine Wohnungsdurchsuchung oder eine Gegenüberstellung mit den Überlebenden
Vielmehr wurde ohne Grundlage behauptet, dass es keinen Zusammenhang mit dem Mord an Burak gebe.
Im September 2015 erschoss Rolf Zielezinski in Neukölln Luke Holland und wurde für diesen Mord verurteilt. In seiner Wohnung wurden Sprengstoff und diverse Nazidevotionalien gefunden.
Luke Hollands Eltern sagten, ihr Sohn könnte noch am Leben sein, hätte die Polizei in Buraks Fall ihre Arbeit gemacht.

Wie sich 2019 herausstellte, kamen die Ermittlungen bereits 3 Monate nach dem Mord für drei ganze Jahre fast komplett zum Erliegen:
Am 29. Juni 2012 wurde ein 50seitiger Bericht von der Abteilung für operative Fallanalyse an die im Fall Burak ermittelnde Mordkommission übergeben.
Dieser Bericht enthielt Hinweise auf weitere notwendige Ermittlungen. Erst drei Jahre später gelangte dieser Bericht in die offizielle Akte des Falls Burak.
Erst drei Jahre nach dem Mord wurden die Ermittlungsempfehlungen zumindest teilweise umgesetzt. Und erst ab diesem Zeitpunkt war die Analyse den Angehörigen und ihren Anwälten zugänglich.
Als die Anwälte öffentlich kritisierten, dass ihnen diese Informationen so lange vorenthalten wurden, warf ihnen die Staatsanwaltschaft eine „Kampagne“ gegen die Staatsanwaltschaft vor.
Damit nicht genug: dreisterweise behaupteten die Behörden, der Bericht sei erst 2015 erstellt worden. Diese Falschaussage wurde mittlerweile eingestanden.
Heraus kam dabei auch, dass eine Arbeitsgruppe unter Führung des polizeilichen Staatsschutzes den Bericht bereits 2014 erhalten hatte, also noch bevor der Bericht Teil der offiziellen Fallakte wurde und den Verfahrensbeteiligten zugänglich war.

Durch diese Verschleppung der Ermittlungen hatten Tatverdächtige natürlich die Chance zu sagen, sie könnten sich nach drei Jahren nicht mehr so genau an die Vorkommnisse erinnern.
Auch hier wieder die Frage:
Für wessen Sicherheit wird hier durch die Polizei gesorgt?

Dieser ganze Vorgang wird von den Behörden als „internes Büroversehen“ bezeichnet.
Wir sagen jedoch: Es handelt sich um eine Weigerung und Verhinderung aufzuklären.
Wir fragen: Wer verhindert hier die Aufklärung? Mit welchem Interesse?
Besteht ein Zusammenhang mit den Verstrickungen des Berliner Staatsschutzes in rechte Netzwerke?

Und damit kommen wir zum heutigen Anlass unserer Demonstration: den 8. Mai 1945.
Esther Bejerano, Überlebende des Nationalsozialismus und der Konzentrationslager Auschwitz und Ravensbrück, schrieb letztes Jahr:
„Plötzlich gab es keine Nazis mehr, damals, 1945 – alle waren verschwunden. Uns aber hat Auschwitz nicht verlassen. Die Gesichter der Todgeweihten, die in die Gaskammern getrieben wurden, die Gerüche blieben, die Bilder, immer den Tod vor Augen, die Albträume in den Nächten.“
Sie, die Überlebenden, haben „das große Schweigen nach 1945 erlebt”, die Akzeptanz des NS-Unrechts, erlebt wie „Nazi-Verbrecher davonkommen konnten als Richter, Lehrer, Beamte im Staatsapparat und in der Regierung Adenauer“.
Schnell war klar: „die Nazis waren gar nicht weg.“

Nein, die Nazis waren nie weg und sie sind es auch heute nicht.

Wir fordern deshalb:
• Die Entnazifizierung aller Behörden
• Einen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung aller rechten und rassistischen Taten in Berlin.
• Die Auflösung des Verfassungsschutzes, weil er nachweislich nichts dazu beitragen kann, die Nazis zu stoppen. Im Gegenteil, sie wurden und werden von ihm gefördert
• Die Aufdeckung aller rechten Machenschaften in den sogenannten Sicherheitsbehörden in Berlin und bundesweit.